Wie ein Virus breiten sie sich in Stadt und Landkreis Lüneburg aus, die bunten Gespenster an Verteilerkästen, Brückenpfeilern und Fassaden – nicht immer zur Freude der Eigentümer. Doch was für die einen illegale Plagegeister darstellt, freut die anderen, die Ghostbusters, die in sozialen Netzwerken inzwischen eine immer weiter anwachsende Community bilden. Anders als einst Bill Murray und Dan Aykroyd im Film rücken sie jedoch nicht mehr mit schwerem Gerät an, um den fremdartigen Gestalten den Garaus zu machen. Heute wird konserviert. Denn: Die Jagd auf Geister macht Spaß, und Fotos von und mit ihnen sind begehrte Sammelobjekte. Alles, was man dazu braucht, ist ein Smartphone und ein Instagram-Account.
Überall spuken sie herum
Wahrscheinlich kennen Sie es: Man ist in Stadt und Landkreis unterwegs und registriert einen. Dann noch einen, wieder einen und irgendwann stellt man fest: Das Ganze hat System. Ähnlich erging es vor einigen Jahren auch Markus Grabowsky. Seit März 2020 ist der Lüneburger mit seiner 7-jährigen Tochter offiziell via Instagram auf Geisterjagd. „Ich habe während des Lockdowns eine sinnvolle Beschäftigung für Leonie gesucht“, sagt der 36-jährige Berufssoldat. „Nur spazieren zu gehen, wurde uns auf Dauer zu langweilig.“
Bei Instagram hatte er gesehen, dass sich immer mehr Menschen auf die Suche machten nach den Kreaturen aus der Sprühdose und ihre „Beute“ dann fotografisch festhalten. Wie Yvonne Dittmer. Erst vor einigen Wochen haben sich die drei über das gemeinsame Hobby kennengelernt. Jetzt unterstützen sie sich beim Gespensterfang, gehen hin und wieder auch zusammen auf Tour. „Alles begann mit der Idee, für Leonie frische Luft und Spiel zu verbinden. Ehrlich gesagt macht es jetzt auch mir Spaß, die Dinger zu sammeln.“
Yvonne ist erst seit letztem Herbst dabei. Den Instagram-Trend kannte sie längst, ihr Interesse aber hielt sich in Grenzen, sie selbst hatte live noch kein einziges der Wesen gesehen. Bis zum Oktober, als sie im Ilmenaugarten zufällig vor ihrem ersten „eigenen“ Geist stand. „Ich habe mich dermaßen gefreut, dass ich ihn in einer Insta-Story zeigen musste“, erinnert sich die 31-jährige Fitness-Trainerin. „Darauf habe ich extrem viel Feedback bekommen. Die Leute schrieben mir Hinweise darauf, wo weitere Geister zu finden seien, oder solche, die von anderen Jägern angeblich noch nicht bemerkt wurden.“
Spaß vs. Sachbeschädigung
Ein bisschen Pokémon, ein bisschen Streetart und ganz viel Sachbeschädigung – darauf läuft das Spiel am Ende hinaus, das ist auch Yvonne und Markus bewusst. Denn auch wenn die Graffiti durch ihr niedliches Aussehen Sympathie wecken, begeht der Urheber eine Straftat, erklärt Suzanne Moenck, Sprecherin der Hansestadt. „Es handelt sich dabei nicht um Auftragsarbeiten, so wie es an anderen Stellen Lüneburgs der Fall ist. Wenn städtische Gebäude, Brücken oder Verteilerkästen, die zu Ampeln gehören, betroffen sind, dann kümmern wir uns um die Beseitigung“, so Moenck weiter. Die beiden Geisterjäger wollen sich an den Bildern erfreuen, so lange es möglich ist. Einige seien bereits entfernt. Ebenso schnell werden andernorts aber wieder Neue gesichtet. Weit mehr als 200 Geister sollen es sein. Markus: „Ich habe aktuell etwa 180 auf Insta gepostet, mindestens 20 Fotos müssen noch online. Und dann wissen wir aber auch schon von 30 bis 40 weiteren.“
Der Radius ist inzwischen riesig – mindestens bis nach Hamburg haben es die Geister geschafft, da sind Yvonne und Markus sicher. Die Masterfrage danach, wer der Künstler ist, lässt die beiden kalt. „Es gibt viele Vermutungen und Gerüchte darüber, wer dahinter steckt,“ so Yvonne. „Aber ich will das eigentlich gar nicht wissen. Darum geht es ja nicht.“ Es könne jeder sein, sagt sie, und das mache das Ganze so spannend.
Robin ist der Beste
„Seit einiger Zeit tragen viele Gespenster Namenskürzel“, weiß Markus. „Wir denken daher, dass es mindestens zwei Personen sind.“ Und auch in Qualität und Stil gebe es Abweichungen, die für die beiden darauf hinweisen, dass mehrere Personen am Werk sind. Die beiden sehen das nicht so eng, ihnen geht es um die Unterhaltung und sie freuen sich, wenn ihre Geisterbande auf Instagram Zuwachs bekommt. „Das Ganze hat was von Schnitzeljagd und man freut sich, wenn man den Schatz findet“, verrät Yvonne.
Die Objekte ihrer Begierde zeigen sich mal süffisant grinsend, pfeifend oder schlafend und passen sich hier und da ihrem Biotop an. Einer auf dem Verteilerkasten in der Nähe eines Teichs hat Froschaugen. Ein anderer am Freileitungsmast ist elektrisiert, und einer an der Altenbrückertorstraße ähnelt dem Maskottchen des Waschsalons, an dessen Fassade er (vorerst) verewigt ist. „Es gibt auch ein paar ganz Besondere“, sagt Yvonne, wie z. B. ihr Liebling Robin Hood mit Hut und Köcher. „Normalerweise fügen wir per Geo-Tag hinzu, wo wir sie gefunden haben, damit auch andere Geisterjäger auf die Suche gehen können. Aber einige sind an so unzugänglichen Orten, an der Straße oder auf stillgelegten Betriebsgeländen, dass wir die Info dazu bewusst weglassen“, sagt sie verantwortungsbewusst. Markus: „Wer sie selbst sehen will, findet genug Hinweise auf anderen Kanälen, wir persönlich möchten durch unsere Plattform niemanden in Gefahr bringen.“
Den Landkreis (neu) entdecken
Die beiden kommen dank ihres Hobbys gut rum in Stadt und Landkreis, treffen viele Menschen und lernen dadurch das Umfeld neu oder zumindest mit anderen Augen kennen. Häufig, so Yvonne, erhalten sie von anderen Jägern oder Followern, die ihre Suche einfach nur verfolgen möchten, Hinweise zu den Geistern, denen sie dann nachgehen können. „Wenn ich im Vorfeld schon in etwa weiß, wo ich hin muss, frage ich in meinen Stories nochmal genauer bei der Community nach. ,Habe gehört, in Reppenstedt gibt es vier Geister – wo muss ich gucken?‘„ Dann kommen die Infos, erzählen die beiden, und die Jagd kann auf ein Neues beginnen.
Man sagt, wer sich glücklich machen will, muss sich eine Sammelleidenschaft zulegen. Das lasse einen die Welt neu entdecken und schärfe den Blick, schaffe neue soziale Kontakte und innere Freude. Yvonne, Markus und Leonie zeigen, wie das geht.