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Mach mal AAAAAA

von Ute Lühr
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Kühe machen Mühe, sagt Dr. Jens Lange und lacht – mehr über den Spruch, als über dessen Bedeutung. Denn was die Bauern kennen, ist auch dem Tierarzt bewusst: Rinderhaltung ist harte Arbeit. Gerade deshalb wollen sich mittlerweile die meisten jungen Veterinäre statt auf Nutz-, lieber auf Haustiere spezialisieren, sehen ihre Zukunft in der Praxis und nicht auf dem Hof. Für den Lüneburger ist das keine Option: Er betreut fast alles, was sich auf vier Beinen fortbewegt. Und das mit Hingabe und Leidenschaft.
Schon früh war dem Familienvater klar, welchen beruflichen Weg er einschlagen wollte: „Ich bin im Oldenburgischen aufgewachsen“, erzählt er, „wir hatten schon immer Pferde, mit denen bin ich groß geworden.“ Und zu denen hat er eine sehr große Affinität. Immer noch, machen sie doch einen wesentlichen Teil seiner Patienten aus – auch an diesem trüben Nachmittag.

Keine Widerworte

Kalt ist es und ungemütlich, ein Mittwoch, an dem man sich eigentlich besser im Warmen aufhalten, bevorzugt seinem Hobby nachgehen sollte, wie das so einige seiner humanmedizinischen Kollegen machen. Für Jens Lange ist das alles keine Option: „Sich um die Gesundheit des Menschen zu kümmern, ist sicherlich ein ehrbarer Beruf“, sagt er, fügt allerdings schmunzelnd an: „Ich halte es da aber doch besser mit den Tieren, die haben keine Widerworte.“ Jedoch auch ihre Probleme. Wie Willy. Willy ist ein 20-jähriger Wallach, der in Kirchgellersen in einer Vollpension lebt. Der Stall ist hell und sauber, der Boden der Box prall gefüllt mit Stroh. Das Pferd macht einen guten Eindruck, stellt Jens Lange fest, dennoch muss er Hand anlegen: „Das Gebiss dieser Tiere ist eigentlich auf permanente Nahrungsaufnahme von faserigem, fast holzigem Pflanzenmaterial ausgelegt“, erklärt er, „durch die Domestikation wurden die Lebensumstände aber auch im Bereich des Futters derart verändert, dass die Zähne weniger und anders beansprucht werden.“ Und das kann Folgen haben. Durch weniger hartes Material können sich scharfe Ecken und Haken an den Backenzähnen im Ober- und Unterkiefer bilden, die zu Verletzungen der Schleimhaut und Zunge führen können. 

Zufrieden mit dem Zustand

Deshalb greift der Tierarzt ein, wenn Bedarf besteht. Den stellt er haptisch fest – aber nicht, ohne dem Wallach zunächst ein sogenanntes Maulgatter anzulegen: „Denn das garantiert, dass meine Hand heile bleibt“, sagt er und lacht. Willy hat Bedarf, und deshalb greift Jens Lange im Anschluss zum Schleifgerät: Mit verschiedenen Aufsätzen werden die betroffenen Stellen entfernt, das Tier anschließend noch geimpft, bevor seine Kollegin Novella, eine stolze Lipizzaner-Stute, an der Reihe ist. Abschließend wirft der Mediziner noch einen Blick auf den Senior im Stall, Gary, 38. Auch mit dessen Zustand ist er zufrieden, lässt aber vorsichtshalber ein wenig Schmerzmittel da – man weiß ja nie.

Sich um die Gesundheit des Menschen zu kümmern, ist sicherlich ein ehrbarer Beruf. Ich halte es da aber doch besser mit den Tieren, die haben keine Widerworte.
Jens Lange

Die permanente Erreichbarkeit bringt der Beruf mit sich

Während er die Pferde behandelt, unterhält er sich mit deren Besitzerinnen. Freundschaftlich und persönlich, kennt er die meisten doch schon lange. „Und letztlich erfordert der Beruf auch nicht nur Spaß im Umgang mit dem Tier, sondern gleichermaßen mit dem Menschen“, sagt der Arzt. Nicht ohne Grund, wie sich keine halbe Stunde später auf bedrückende Weise herausstellen wird. Während Jens Lange in Kirchgellersen beschäftigt ist, klingelt sein Telefon. Ständig. „Das ist eben auch ein Aspekt, den dieser Beruf mit sich bringt“, sagt er, „eine permanente Erreichbarkeit.“ Zwar wechselt sich der Lüneburger in seiner Rufbereitschaft am Wochenende mit seinen drei Kolleginnen ab, nachts übernimmt er diese Aufgabe aber allein. Und auch wenn nicht häufig ein Notruf eingeht – ausgeschlossen ist das nie. Ein solcher hat ihn am Vormittag ereilt. Ein Isländer hat hohes Fieber, zudem ist das Tier mit kaltem Schweiß bedeckt. Der Mediziner hat wenig Hoffnung für seinen älteren Patienten, wird ihn aber dennoch behandeln. „Wahrscheinlich hat das Pferd einen Darmdurchbruch“, mutmaßt er, „der Inhalt entleert sich in die Magenhöhle, da kann man gar nichts machen, auch in der Klinik nicht.“ Rund 40 Meter misst der Verdauungstrakt beim Einhufer, eine Länge, auf der die Suche nach der betroffenen Stelle derer nach der Nadel im Heuhaufen entspricht. Am Nachmittag die traurige Entscheidung: Dem Tier geht es nicht besser, es hat große Schmerzen und muss erlöst werden. „Kein schöner Moment“, sagt Jens Lange.

Abschiede erfordern Feingefühl

Er injiziert dem Isländer ein Medikament, keine Minute später fällt das Pferd auf die Seite und ist tot. Der Besitzer kann sich das Ableben seines langjährigen Gefährten nicht mit ansehen, er hält sich mit Tränen in den Augen im Hintergrund. „Das sind die traurigen Seiten meines Jobs“, sagt der Tierarzt, „und die erfordern viel Feingefühl.“ Denn der Abschied von einem geliebten Wegbegleiter fällt enorm schwer – insbesondere dann, wenn es sich um einen Hund handelt: „Das ist dann so, als wenn ein Familienmitglied geht.“
Die Stimmung ist dementsprechend gedrückt, als es zum nächsten Patienten geht: In Dachtmissen hat ein stattlicher schwarzer Friese einen entzündeten Huf. Jens Lange wuchtet sich das Hinterbein auf den Oberschenkel, entfernt den Verband und behandelt die Stelle mit einer Tinktur. „Das sollte gut helfen“, sagt er, „muss aber beobachtet werden.“ Genauso wie das Blutbild des Tieres, „das sieht nicht gut aus“.

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Meter misst der Verdauungstrakt beim Einhufer

Kein Tag ist wie der andere

Von Dachtmissen geht es weiter nach Drögennindorf – immer unterwegs. In einem Umkreis von gut 30 Kilometern behandelt der Lüneburger seine Patienten, fährt von Hof zu Hof. Kollegen, die eine vergleichbare Praxis für Groß- und Kleintiere haben, gibt es kaum noch. Und das hat seine Gründe: „Seit rund 20 Jahren sind bis zu 90 Prozent der Studierenden an den fünf tiermedizinischen Hochschulen in Deutschland Frauen, und die haben meist eine Präferenz für Hunde, Katzen und Meerschweinchen“, sagt Jens Lange. Und das schlägt sich auch in der Ausrichtung der Praxen nieder: Gab es 2006 in Niedersachsen noch 305 Nutztierpraktiker, waren es 2017 schon ein Drittel weniger, gleichzeitig gab es 2006 für Haustiere 555 Ärzte, und 2017 schon 694. Arbeitslosigkeit droht aber auch diesen nicht: Immer mehr Menschen geben immer mehr für ihre geliebten Vierbeiner aus. Auch das ist in der Nutztierhaltung anders. „Zudem erfordert diese viel Kraft“, sagt der Fachmann, „und Flexibilität.“ Kein Tag ist wie der andere – und planbar schon gar nicht: „Da kommt immer mal wieder was dazwischen“, sagt er, „das macht letztlich aber auch den Reiz aus.“ Innere Medizin und Gynäkologie, Geburtshilfe und Orthopädie, Augenheilkunde und Chirurgie – das Berufsspektrum ist umfassend und benötigt eine lange Ausbildung: Elf Semester beträgt die Regelstudienzeit, „nach dem 3. Staatsexamen wird man dann mit umfangreichem theoretischen, aber wenig praktischem Wissen in die Arbeitswelt entlassen“, sagt Jens Lange. Neun Jahre war er nach seiner Approbation als Assistenzarzt in Luxemburg und bei Springe tätig, bevor er sich 2000 im Landkreis Lüneburg selbstständig gemacht hat. Zum Glück für Tier und Mensch.

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