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Salz in Tokio

von Melanie Jepsen
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Am Anfang braucht es Mut, dann Neugier und am Ende auch eine Prise Glück. In Japan sind Glücksbringer ein großer Teil der Kultur. Kleine Talismane sollen zu Geldsegen und Wohlergehen verhelfen. Anji Salz glaubt nicht an Glücksbringer. Sie hat ihr Glück selbst in die Hand genommen. Mit 23 Jahren stellt sie ihr Leben komplett auf den Kopf und wandert nach Tokio aus.

Gefärbte Haare, knallige Kimonos. Keine Frage, Anjis Look fällt auf. „Ich denke, mein Stil ist eine Mischung aus Rock, klassischem Vintage und japanischer Street-Fashion. Ich gebe mich ungern Trends hin, sondern lasse mich von meinem Umfeld, Geschichte und Kunst inspirieren. Und natürlich meinem Gemüt an jenem Tag. Das Leben ist zu kurz, um seiner Kreativität Einhalt zu gebieten und sich darum zu sorgen, was andere vielleicht denken könnten.“ In Tokio hat Anji ihre Leidenschaft für Mode entdeckt, ist als Kimono Stylist/Creative Direction für Foto- und Video-Shootings unterwegs, verkauft in ihren Onlineshops handverlesene Designs und auch antike Kimonos. Sie entwirft selbst, schreibt Kolumnen für japanische und deutsche Medien und betreibt Promotion für vom Aussterben bedrohte Kimono-Kunst. Auf ihrer Website salz-tokyo.com dreht sich alles um das traditionelle japanische Kleidungsstück. „Kein Tag gleicht dem anderen“, sagt sie. „Meine Arbeit ist eine bunte Mischung verschiedener Tätigkeiten rund um das Thema Kimono.“

Lüneburg vs. Tokio

Ihr Markenname SALZ Tokyo hat für Anji eine ganz besondere Bedeutung. Er erinnert an den Ort ihrer Kindheit: Lüneburg. SALZ verbindet die Salzstadt mit ihrer neuen Heimat Tokio und unterstreicht den Austausch der Kulturen. Ihre alte Heimat schätzt Anji sehr. Manchmal möchte sie sich einfach mal eben für ein Mettbrötchen oder einen Cocktail am Stint herbeamen, verrät die 32-Jährige. In Lüneburg sei alles sehr persönlich. Das vermisst sie. Aber wieder in Deutschland zu leben, kommt für Anji nicht infrage. Sie ist angekommen, fühlt sich in Tokio zu Hause.

„Über Japan wusste ich im Grunde wenig“, sagt die junge Frau. Erst knapp vier Jahre vor ihrer Auswanderung weckte japanische Rockmusik ihre Neugier. Sie begann, sich Japanisch anzueignen. Stück für Stück. Im Bus, auf dem Weg zur Arbeit. Anji nutzte jede freie Minute. Über ein Sprachtandem lernte sie ihren heutigen Ehemann kennen. Irgendwann wurde aus Freundschaft Liebe. „Der größte Wendepunkt war sicher das Kennenlernen meines Mannes in Hamburg und das Planen einer gemeinsamen Zukunft“, erinnert sich die Auswanderin. Aber auch ihr ganzes Leben lang dieselbe Tätigkeit auszuüben, konnte sich die Lüneburgerin nicht vorstellen.

Foto: nh/Benjamin Hung

Immer wenn sie nach Japan reiste, war es für sie meist eher ein Gefühl von Ankommen und zu Hause zu sein, sodass der Reiz nach einem Ausbrechen aus dem Alltag und Neustart in einem fremden Land immer reizvoller wurde. Anji gab ihren gut bezahlten Job als Fluggerätmechanikerin bei Airbus in Hamburg auf und folgte ihrer Liebe. In die Heimat ihres Mannes. „Im Grunde brauchte es circa ein Jahr, um sich richtig zu akklimatisieren. Von vielen anderen Auswanderern habe ich Ähnliches gehört. In dem ersten Jahr ist man meist in der ,Honeymoon-Phase‘, bevor man vieles anfängt zu verstehen.“

Mode als Passion

Kurze Zeit bestritt sie ihren Lebensunterhalt mit einem Bürojob. Doch Anji suchte etwas Kreatives, um sich selbst verwirklichen zu können. In der Mode fand sie ihre Passion. „Das war wie eine Offenbarung. Ich hatte das Gefühl, endlich das gefunden zu haben, wonach ich immer gesucht habe“, schwärmt die junge Frau. Früher habe sie kein Auge für Mode gehabt. „Wenn man um fünf Uhr morgens zur Frühschicht aufstehen muss und den ganzen Tag Blaumann trägt, dann reicht auch nach Feierabend ein Band-Shirt und Jeans. Mein Interesse an Mode wurde erst mit dem Kontakt zu Japan geweckt. Hier wird auf das äußere Erscheinungsbild sehr hohen Wert gelegt. Sowohl ein Fluch und ein Segen zugleich.“

Wie seltsam es sich auch anhören mag, aber das Tragen eines Kimonos verwandelt mich immer ein Stück weit.
Anji Salz

Der Kimono wurde zu ihrem Markenzeichen. Durch die Fashionszene in Harajuku hat die Auswanderin viel gelernt und Inspirationen gefunden. „Da ist alles etwas bunt und wild und alles erlaubt. Das hat mich total fasziniert und angezogen.“ Wenn Anji in ihren Kimono schlüpft, macht das etwas mit ihr. „Wie seltsam es sich auch anhören mag, aber das Tragen eines Kimonos verwandelt mich immer ein Stück weit. Die gerade Silhouette, die gleichzeitig auch ein wenig bewegungseinschränkend ist, lässt einen automatisch aufrechter gehen. Der ganze Prozess, vom Zusammenstellen des Outfits im Detail, passendes Haar- und Make-up-Arrangement und das Anlegen des Kimonos ist eine Zelebration. Natürlich auch der Kimono selbst, der eher einem Kunstwerk als einem Kleidungsstück entspricht“, beschreibt sie ihre Faszination. „Man nimmt sich Zeit, ist sich des Handwerks und Traditionen bewusst und fühlt sich eleganter. Ich fühle mich immer als eine bessere und höflichere Version meiner selbst, wenn ich Kimono trage. So einfach und bequem sie auch sind, T-Shirt und Jeans können da leider nicht mithalten.“

Leider, so bedauert die Designerin, werde der Kimono heutzutage oft nur noch bei formellen Anlässen aus der Schublade geholt. „Viele Japaner wissen gar nicht mehr, wie man einen Kimono trägt. Durch meine Arbeit und die Nutzung der sozialen Medien versuche ich mehr junge Leute inner- und außerhalb Japans für den Kimono zu begeistern und zu zeigen, dass man ihn tagtäglich und in vielen Variationen tragen kann.“

Wiedergeburt des Kimonos

Sie möchte den Kimono wieder alltagstauglich machen. Seit vergangenem Jahr bietet Anji auch private Kimono-Experiences und Touren an. „Wie auch bei westlicher Kleidung, sollte der Kimono nach eigenem Stil und auch dem Anlass ausgewählt werden. Nicht jede Farbe oder Muster steht jedem gleich“, weiß Anji. Ihr Lieblingsstyle: Ein Mix aus Vintage. Sie liebt die 20er- und 30er-Jahre. „Ich mixe es gerne mit modernen Elementen wie Rock oder geometrischen Designs. Irgendwas Ausgefallenes. Bei mir gibts meistens nur knallige Farben.“

Natürlich zieht die 32-Jährige die Blicke auf sich, wenn sie im Kimono durch die Straßen Tokios schlendert. Aber daran hat sie sich gewöhnt: „Viele Ältere freuen sich und sprechen mich an. Im Restaurant wird man besonders freundlich behandelt, etwa mit einem Tisch mit extra schöner Aussicht.“

Vieles ist in Japan anders, als in ihrer alten Heimat. Das Leben in Tokio sei hektisch, anonym, meint die Designerin. Auf der anderen Seite würden die Menschen aber viel Rücksicht aufeinander nehmen, seien sehr höflich. Für sie liegt der Mehrwert auf der Hand: „Es ist sehr angenehm hier zu leben. Die Natur ist wunderschön. Wenn man etwas rausfährt, hat man alles. Berge, Meer, die Gezeiten.“ Der Sommer und seine kulturellen Ereignisse haben eine Menge zu bieten. Anji lebt ihren Traum, hat sich selbst verwirklicht. Doch ihr größtes Glück ist gerade mal wenige Tage alt: ihre kleine Tochter.

 

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