Reisen – das ist Sehnsucht, die Chance, aus dem Alltag auszubrechen, andere Länder und Kulturen kennenzulernen. Pandemie und Lockdown verstärken das Fernweh bei den meisten noch um ein Vielfaches. Gleichzeitig stellt Covid-19 die gesamte Tourismusbranche vor eine große Herausforderung. Fällt der Urlaub dieses Jahr womöglich komplett ins Wasser? Dr. Martin Lohmann, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Leuphana Universität Lüneburg und Geschäftsführer des Instituts für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa in Kiel, sagt: „nein“. Er beschäftigt sich vor allem mit Marktpsychologie, Konsumentenverhalten und Tourismus und beobachtet ganz genau die Auswirkungen der Pandemie. Sofern die Voraussetzungen dafür wieder gegeben sind, so Lohmann optimistisch, werde auch das Reisen wieder möglich sein. Nicht die Erkrankung selbst, sondern die von der Gesellschaft und Politik ergriffenen Maßnahmen, um die Pandemie zu stoppen, haben im Wesentlichen die Möglichkeit zu reisen eingeschränkt, sagt der Tourismusforscher.
Urlaubswünsche
Das Reiseverhalten allgemein werde sich durch Covid-19 nicht groß verändern, davon geht Martin Lohmann aus. „Das Reisejahr 2023 wird genauso aussehen wie das Reisejahr 2019. Es sind die selben Leute, die dann reisen mit all ihren Urlaubswünschen und Vorstellungen. Die Unterschiede zu vorher werden sehr gering sein.“ Das einzige Segment, in dem mittel- und langfristig mit Änderungen gerechnet werden müsse, seien die Fernreisen: Weniger Kapazitäten im Flugverkehr und höhere Kosten für Flugreisen seien Folgen der Krise, die in Zukunft eine größere Barriere für Fernreisen darstellen könnten, meint der Professor.
Anders sehe es für die Kreuzfahrtbranche aus. „Kreuzfahrten haben ein sehr treues Publikum. Hier werden die Gäste nicht wegbrechen. Allerdings wird es aber auch kein gigantisches Wachstum mehr geben wie in den vergangenen zehn Jahren.“

Foto: ©2018 Frank Molter
Das Reisejahr 2023 wird genauso aussehen wie das Reisejahr 2019. Es sind die selben Leute, die dann reisen mit all ihren Urlaubswünschen und Vorstellungen.Martin Lohmann, Tourismusforscher
Grundsätzliche Urlaubsbedürfnisse wie Erholung zu finden, Natur zu erleben, mehr Zeit und Nähe mit dem Partner verbringen zu wollen, all das werde sich nicht ändern, ist sich der Tourismusexperte sicher. Doch fühlt sich Urlaub in Zeiten der Pandemie eigentlich noch wie Urlaub an? Martin Lohmann sieht hier eine große Herausforderung für die Branche: „Das bedeutet, auf der einen Seite den Gesundheitsauflagen und auch den Ansprüchen der reisenden Menschen gerecht zu werden. Und auf der anderen Seite ihnen das heitere und gelöste Urlaubserlebnis zu ermöglichen. Das ist ein Balanceakt. Aber ich bin mir sicher, dass diese Herausforderung gemeistert wird.“
Warten auf den Startschuss
Die kurz- und langfristigen Auswirkungen der Krise seien sehr differenziert zu betrachten, meint Martin Lohmann. Auf der Nachfrageseite gebe es viele Menschen, die wirtschaftliche Einbußen hinnehmen müssen, ihren Arbeitsplatz verloren haben, Erkrankungen in der Familie zu verzeichnen haben. Menschen, denen ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten genommen wurden. Dann gibt es auch diejenigen, die unter Coronabedingungen nicht gerne reisen oder einfach keine Lust haben. Der größere Teil der Leute frage sich aber: „Wann kann ich endlich wieder los?“
Auf der Angebotsseite stelle sich die Lage weitaus schwieriger dar, so der Tourismusforscher. „Hier gibt es sicher viele schwere Schicksale von Unternehmen, die über die Corona-Pandemie hinaus nicht gerettet werden können. Das sind weniger touristische sondern vor allem gesellschaftliche Probleme, für die es gerechte Lösungen geben muss.“
Lokaler Tourismus
Diese Einschätzung bestätigt auch die Lüneburger Reisebüro-Inhaberin Jutta Hartwig. Mit großer Sorge blickt sie auf die aktuellen Entwicklungen. „Für den lokalen Tourismus ist das Bild sehr düster“, fasst sie die Lage zusammen. „Die versprochenen Hilfen fließen nicht.“ Beim Blick nach links und rechts sieht sie mindestens 50 Prozent der Hotels und Restaurants als insolvent gefährdet. Die Unternehmerin hofft auf das bevorstehende Ostergeschäft. „Das ist für den lokalen Tourismus sehr wichtig, weil gerade Städtereisen nicht im Hochsommer gemacht werden.“ Heinz-Georg Frieling, Geschäftsführer des DEHOGA-Bezirksverbandes Lüneburg, hat Zahlen. Gerade einmal 38 Prozent der Betriebe haben die staatlichen Mittel der sogenannten Novemberhilfe demnach erhalten. Sollte der Lockdown noch länger anhalten, könnte die Zahl der in ihrer Existenz bedrohten Betriebe sogar weiter ansteigen, befürchtet er.
Änderungen am Urlaubsort möglich
„Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es 2021 gar keine Reisen geben kann“, äußert sich Laura Gosciejewicz, Stellvertretende Pressesprecherin im Niedersächsischen Wirtschaftsministerium, zum Reisejahr 2021. Wann und in welcher Form dies im Laufe des Jahres möglich sein wird, lasse sich allerdings aktuell noch nicht seriös vorhersagen, da das Infektionsgeschehen dafür im Moment noch zu dynamisch sei, sagt sie. Unter anderem hänge dies auch stark davon ab, wie lange das Impfen dauern wird. „Reisende sollten generell die Regeln am Urlaubsort kennen und auch etwaige Einreisebestimmungen beachten. Zudem sollten sie sich darauf einstellen, dass sich die Situation an ihrem Urlaubsort weiterhin kurzfristig ändern und dass dies gegebenenfalls auch Auswirkungen auf ihren Aufenthalt oder ihre Rückreise haben kann“. Es sei zum Beispiel weiterhin nicht auszuschließen, dass ein Urlaubsort während des Aufenthalts zu einem Risikogebiet wird und Reisende entsprechend die daraus resultierenden Regeln nach ihrer Rückkehr beachten müssen.
Kapazitätsengpässe
Dies gelte insbesondere für Reisen ins Ausland. „Dementsprechend können Urlauber sehr wahrscheinlich davon ausgehen, dass Reisen innerhalb Deutschlands in diesem Jahr voraussichtlich weniger ,störanfällig‘ sein werden und wie geplant durchgeführt werden können“, so Laura Gosciejewicz. „Dies ist allerdings eine Entwicklung, die voraussichtlich eine erhöhte Nachfrage in den Ferienregionen mit sich bringt und somit zu Kapazitätsengpässen führen kann – insbesondere innerhalb der beliebten Reisezeiträume. Wer also langfristig planen und somit auch früher buchen kann, ist dann wahrscheinlich im Vorteil. Dies ist aber am Ende eine Frage der persönlichen Lebensumstände und der eigenen Risikofreude.“ Ebenso werde das Thema Sicherheit bei der Auswahl des Reiseziels auch nach der Pandemie eine ganz große Rolle spielen, meint die Sprecherin. „Auch das Interesse an nachhaltigem und naturnahem Urlaub dürfte weiterhin bestehen bleiben. Dies ist ein Trend, von dem das Reiseland Niedersachsen mit zwei Nationalparks, zwei Biosphärenreservaten sowie 14 Naturparks und einem ausgeprägten Angebot an Rad- und Wanderwegen durchaus profitieren kann.“
Trend zur Inlandsreise setzt sich fort
„Das eigene Heimatland insgesamt ist Lieblingsreiseziel der Deutschen“, meint Norbert Kunz, Geschäftsführer des Deutschen Tourismusverbandes. „Die deutschen Destinationen an der Küste und im Alpenraum führen seit Jahren die Beliebtheitsskala der bevorzugten Reisezeile der Deutschen an. Das wird sicher auch so bleiben.“ Er geht davon aus, dass auch 2021 der Trend, die eigene Heimat zu entdecken, weitergehen werde. „Viele haben im Sommer 2020 ihren Urlaub hier verbracht und haben neue Orte und Reiseregionen besucht. Bereits 2020 waren beispielsweise die Seenregionen, die Mittelgebirge oder Wander- und Radrouten sehr beliebt“, sagt Norbert Kunz. „Fest steht: Wir haben in allen deutschen Reiseregionen qualitativ hochwertige Reise- und Freizeitangebote für jeden Urlaubsgeschmack und bestens aufgestellte Gastgeber. Mein Tipp: Reisen Sie doch einmal dorthin, wo sie noch nie waren. Sie werden staunen, was es alles zu entdecken gibt. Tipps vor Ort bietet die örtliche Touristinformation.“
Urlaub mit Abstand
Corona werde in unseren Reisegewohnheiten fraglos vieles verändern, sagt Norbert Kunz. Aber der Wunsch zu verreisen, Familie und Freunde zu besuchen, Neues zu entdecken und sich zu erholen, werde ungebrochen bleiben. „Ich bin mir sicher, der Deutschlandtourismus wird als erstes schnell wieder an Fahrt gewinnen. Zunächst Tagesreisen, Ausflüge in die Stadt und aufs Land, Wandern oder Radfahren, dann alle Urlaubsformen und sicher später auch wieder verstärkt Geschäftsreisen.“ Der Urlaub mit Abstand, Sicherheit, Nachhaltigkeit und Qualität entlang der gesamten Reisekette werden künftig noch viel wichtigere Themen sein. Dabei werden digitale Angebote bei der Buchung, bei der Urlaubsplanung, aber auch bei der Gästelenkung eine große Rolle spielen, so Norbert Kunz.
Chancen für den regionalen Tourismus
Durch die Pandemie haben viele Menschen Natur und Freizeitangebote vor der eigenen Haustür für sich entdeckt. Schnell in die Wanderschuhe geschlüpft oder aufs Rad geschwungen und los gehts. Was macht unsere Region Lüneburg für Reisen und Ausflüge eigentlich so attraktiv? Für Lars Werkmeister, Geschäftsführer der Lüneburg Marketing GmbH, liegt die Antwort auf der Hand: „Da kommt vieles bei uns zusammen: Ausgedehnte Wald-, Wiesen- und Heideflächen, die nicht nur zur Heideblüte im Spätsommer reizvoll sind. Zudem bietet die Region malerische Dörfer, zahlreiche Freizeit- und Tierparks sowie attraktive Städte wie Lüneburg. Wir punkten mit dem Mix aus Mittelalter und Moderne: historisches Stadtbild mit unseren schönen Backstein-Giebelhäusern – allen voran das prunkvolle Rathaus, übrigens eines der bedeutendsten in Norddeutschland – und attraktiven Shoppingmöglichkeiten in einer einzigartigen Atmosphäre, dazu schöne Cafés und Restaurants zum Genießen.“
Lüneburg aus Sicht eines Touristen
Die wenigsten Menschen würden ihre Stadt aus Sicht eines Touristen kennen, sagt er. „Alle haben ihre täglichen Wege und Routinen. Da mal von abzuweichen kann schnell interessant werden, die Region hält viele positive Überraschungen bereit. Warum nicht einfach mal so über Lüneburg recherchieren, wie man es auch für eine Reise macht.“ Welche Chancen ergeben sich vielleicht auch durch die Pandemie für den regionalen Tourismus? Lars Wermeister stellt fest: „Wir kommen bei Besuchern aus dem Umland oder angrenzenden Bundesländern auf den Radar, die vorher vielleicht einen anderen Fokus hatten. Viele Unternehmer*innen sind kreativ und entwickeln tolle neue Konzepte, auf die man ohne Corona vielleicht nicht gekommen wäre“, meint der Marketing-Chef. „Lüneburg kann man auch kurzfristig besuchen, das ist eine Chance für uns.“





