Miteinander statt übereinander reden, das ist der Leitgedanke der Initiative Speakers‘ Corner Lüneburg. Die Idee stammt aus London. Dort treffen sich seit fast 150 Jahren jeden Sonntag Menschen im Hyde Park, um unter freiem Himmel zu diskutieren. Seit einem Parlamentsbeschluss vom 27. Juni 1872 darf hier jeder spontan über ein beliebiges Thema diskutieren und Zuhörer um sich versammeln. Striktes Gesetz: Die britische Königin und die königliche Familie dürfen nicht Inhalt einer Rede sein. Auch berühmte Gäste wie Karl Marx, George Orwell und Lenin standen einst am Speakers‘ Corner.
Was für Redner in London der Hyde Park ist, ist für die Lüneburger die Innenstadt. Immer wieder lädt die studentische Initiative zum spontanen und offenen Meinungsaustausch ein. Angefangen hat alles mit einem Projektseminar der Leuphana Universität Lüneburg. Daraus, so berichtet Gründungsmitglied Dominique Haas (26), ging die Initiative Speakers‘ Corner hervor. Die Idee kam von Helge Inselmann, der eine Veranstaltung am Speakers‘ Corner in London vor Ort miterlebte. Im Mai 2017 stellten die Studenten in Lüneburg die erste Veranstaltung zum Thema „Zusammenleben“ auf die Beine. Mit Poster und Flyern machten sie damals auf den spontanen Meinungsaustausch aufmerksam, sprachen Leute in der Fußgängerzone an. „Es kannten vor allem ältere Menschen das Konzept aus dem Hyde Park“, erinnert sich Dominique Haas. Andere wiederum hätten anfangs verwundert reagiert. „Unterm Strich lief es positiver als erwartet“, zieht er Bilanz.
Spontaner Austausch
„Die Idee ist es, Leute zusammenzubringen, die sich normalerweise nicht unbedingt auf der Straße begegnen und die über ein bestimmtes Thema debattieren“, beschreibt Jasmin Dietzsch (20) das Konzept. Im Gegensatz zu einem klassischen Diskussionsformat handelt es sich bei Speakers‘ Corner um einen spontanen Austausch. „Die Leute müssen sich nicht extra anmelden. Sie kommen durch die Straße, sehen was dort passiert und können sich dazustellen. Wir wollten den Zugang so einfach wie möglich gestalten“, sagt Dominique Haas. Lüneburg sei relativ klein und zugänglich. Insbesondere in der Altstadt als Zentrum könne man vielen unterschiedlichen Menschen begegnen.
Das Konzept des Londoner Vorbildes habe ihnen lediglich als Inspiration gedient. Anders als im Hyde Park, lädt die Lüneburger Initiative im Vorfeld Redner ein, die einen kurzen Impuls-Beitrag liefern, zum Nach- und Weiterdenken anregen, ihre Erfahrungen teilen und mit allen Interessierten anschließend ins Gespräch kommen. Das können bekannte Lüneburger Gesichter sein, aber auch Menschen, die einfach etwas zu erzählen, eine Meinung zu einem bestimmten Thema haben. Die Organisatoren möchten dadurch einen Rahmen schaffen: „Es ist ein Spagat, das Thema interessant zu halten und trotzdem zugänglich.“
Moderierter Meinungsaustausch
Ausdrücklich erwünscht: Das Podest betreten und diskutieren. Kritische Zwischenfragen und Kommentare sind jederzeit möglich, sofern die Diskussion fair bleibe, die Menschenwürde beachtet und niemand beleidigend werde, sagen Jasmin Dietzsch und Dominique Haas. Ihre Idee steht für einen respektvollen Umgang auf Augenhöhe. Speakers‘ Corner lebt von der Beteiligung des Publikums. Jede Veranstaltung dauert im Schnitt zwei Stunden. Grundsätzlich kann das Thema eines Redebeitrages frei gewählt werden, einige Veranstaltungen haben ein Überthema. Ein Moderator aus dem Organisationsteam begleitet den Meinungsaustausch. „Wir versuchen zu schauen, dass nicht nur ein Zweierdialog entsteht, sondern eine Unterhaltung mit Meinungen aus dem Publikum“, so Jasmin Dietzsch. Jeder Passant kann zu jederzeit in die Diskussion einsteigen. Manchmal, so berichten die beiden Studenten, verlagern sich Unterhaltungen im Anschluss an die Diskussion ins Private. So entstehen immer wieder auch Gespräche am Rande der Veranstaltung. Genau das mache das Konzept so interessant.
Das Team von Speakers‘ Corner Lüneburg greift Themen auf, die aktuell sind, Menschen bewegen und die möglichst viele ansprechen und abholen. Auch Jasmin Dietzsch und Dominique Haas haben für sich in den vergangenen Jahren wertvollen Input bekommen. „Es ist super spannend zu sehen, wie man sich selbst in der Diskussion mit anderen kennenlernen kann“, meint die 20-Jährige. Aber auch mal die eigene Meinung zu einem Thema zu hinterfragen sei Teil der Diskussion. Langfristig wünschen sie sich, auch in anderen Stadtteilen Lüneburgs präsent zu sein, weitere Interessierte über die Uni hinaus für ein Engagement in der Initiative zu begeistern und vielleicht auch Kooperationen einzugehen, um die Idee weiterzuentwickeln.
Mitwirk-O-Mat
Lust auf ehrenamtliches Engagement? Welche Angebote gibt es eigentlich in Lüneburg? Hilfe bieten soll der sogenannte Lüneburger Mitwirk-O-Mat. Das Prinzip ist simpel: Dem Nutzer werden 20 Fragen zu persönlichen Interessen gestellt. Diese kann er entweder neutral, zustimmend oder ablehnend beantworten. Danach werden all jene Initiativen vorgeschlagen, mit denen es inhaltlich die größte Übereinstimmung gibt. Mehr als 60 Lokalgruppen nehmen an dem Projekt teil. Abrufbar ist der Mitwirk-O-Mat unter www.lebendiges-lueneburg.de