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Schlaues Konzept

von Gastautor
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Einer meiner absoluten Lieblingsschauspieler, Maximilian Mundt, gab kürzlich öffentlich bekannt, homosexuell zu sein. Wieder einmal habe ich mich bei einer solchen „Nachricht“ gefragt: Warum ist das notwendig und wen geht diese Information eigentlich etwas an, außer ihn selbst? Vielleicht liegt es an der Erziehung meiner Eltern, dass dieses „Thema“ bei uns zuhause nie zum Thema gemacht wurde. Es war „normal“, wenn sich zwei Menschen gleichen Geschlechts küssten. Heute, viele Jahre später, scheint sich im Vergleich doch einiges im Bezug auf die Offenheit gegenüber vielfältigen Lebenskonzepten getan zu haben. Trotzdem zeigt das öffentliche Outing Maximilian Mundts, dass noch viel Luft nach Oben ist. Damit, dass Offenheit unseren Mitmenschen gegenüber keine Zukunftsmusik bleibt, haben auch die unzähligen Vereine zu tun, die unermüdlich Aufklärungsarbeit leisten. Einer davon ist Schlau e.V. in Lüneburg.

Das Schulaufklärungsprojekt zu den Themen „Sexuelle Orientierung“ und „geschlechtliche Vielfalt“ agiert unter dem Schirm des Netzes von Schlau Niedersachsen. Geschulte Gruppen besuchen ehrenamtlich Schulen in Lüneburg sowie im Landkreis und – auf Anfrage – darüber hinaus, um Vorurteile abzubauen und vor Diskriminierung zu schützen. Wir haben die Truppe für ein Interview getroffen.

Seit wann gibt es euch und was ist die Idee bzw. sind die Vereinsziele?
Schlau Lüneburg ist ein Verein, der 2013 in Lüneburg gegründet wurde und Teil einer niedersachsenweiten Organisation, die Bildungsarbeit zu queeren Themen leistet. Mit „queer“ sind geschlechtliche Vielfalt und sexuelle Orientierung abseits der heterosexuellen Norm gemeint.

Unser Hauptziel ist es, jungen Menschen durch den Kontakt zu uns dabei zu helfen, Vorurteile abzubauen und queeres Leben zu normalisieren. Damit wollen wir dazu beitragen, eine Zukunft zu gestalten, in der alle Menschen gleichberechtigter miteinander leben können. 

Foto: ©Good Studio – stock.adobe.com

Wie sieht die Hauptarbeit des Vereins aus?
Die Hauptarbeit von Schlau Lüneburg besteht darin, Workshops zu geschlechtlicher Vielfalt und sexueller Orientierung an Schulen in und um Lüneburg durchzuführen. Dafür werden wir von Schulen häufig im Rahmen von Projektwochen für die 7. bis 10. Klasse angefragt.

Durch die Schulschließungen mussten wir Alternativen finden und haben eine Online-Workshopreihe konzipiert und durchgeführt. Auch Schlau Niedersachsen (unser Trägerverband) arbeitet gerade daran, eine interaktive Website zu gestalten, über die die Schüler_innen von zu Hause aus einen Schlau Workshop machen können.

Auch die Vernetzungsarbeit ist ein wichtiger Bereich, so sind wir auch bei Info-Veranstaltungen für Studierende oder Festivals wie dem „coraci“ oder dem „Klimacamp“ mit einem (digitalen) Stand präsent, um Einblicke in unsere Arbeit zu geben und neue Teamer_innen zu akquirieren.
Hinter den Kulissen sind außerdem interne Fortbildungen ein regelmäßiges Thema. Sei es das eine Auffrischung und Vertiefung zum Thema Intergeschlechtlichkeit oder Asexualität oder auch zu Themen, die auf den ersten Blick gar nicht ins Feld sexuelle Orientierung und geschlechtlicher Vielfalt fallen, zum Beispiel Anti-Rassismus oder sexualisierte Gewalt. Dabei versuchen wir, dass dieses Wissen immer möglichst im ganzen Team ankommt, damit wir in Workshops (und darüber hinaus) mit so vielen Lebensrealitäten wie möglich mitdenken lernen.

Was bietet Ihr neben eurer Arbeit an den Schulen noch an?
Neben den Schulworkshops bieten wir auch Workshops für FSJler_innen und andere Jugendgruppen, sowie angehende Lehrkräfte und Erzieher_innen an. Wir passen unsere Veranstaltungen immer an die jeweilige Zielgruppe an und überarbeiten regelmäßig unsere Methoden. Normalerweise organisieren wir auch zwei Mal im Jahr (Sommer und Winter) die Party „queer getanzt“, die traditionell im Anna&Arthur in Lüneburg stattfindet. Wir hoffen, dass das irgendwann wieder möglich sein wird.

Kommen die Menschen mit dem Wunsch nach Hilfe auf euch zu, oder auch, um Kontakt zu Gleichgesinnten zu finden?
Schulen, die auf uns zukommen, tun das manchmal aus konkretem Anlass, z. B. einem Outing in der Klasse oder einer Häufung von homo- oder transfeindlichen Sprüchen, aber auch oft präventiv. Dabei ist uns wichtig, dass wir dann eher generelle Sensibilisierungsarbeit leisten und nicht möchten, dass sich Jugendliche in Workshops von uns outen. Wir möchten nicht, dass betroffene Personen sich irgendwie unter Druck gesetzt fühlen, weil konkret über sie und ihre Situation gesprochen wird. Deswegen vereinbaren wir immer schon am Anfang von Workshops, dass das ein sicherer Rahmen ist. Und wir nicht da sind, um die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität von Mitschüler_innen zu thematisieren, sondern nur die unserer geschulten Teamenden.

Teamende, die zu Schlau kommen, haben viele verschiedene Motivationen, warum sie diese Bildungsarbeit wichtig finden, z. B. die Informationen und Anstöße an die Schüler_innen weiterzugeben, die sie selbst gerne als Schüler_innen erhalten hätten, oder positive Rollenvorbilder zu schaffen, die sonst in den Medien eher selten repräsentiert werden. Dabei ist es natürlich schön, Gleichgesinnte im Team zu finden – Menschen, die vielfältige Perspektiven haben auf Geschlecht, Sexualität und so viele andere Themen und mit ihrer Arbeit mit jüngeren (und manchmal auch älteren) Menschen die Gesellschaft ein kleines bisschen inklusiver und offener gestalten. Das kann schon sehr viel Kraft geben. 

Foto: ©Good Studio – stock.adobe.com

Was macht die Stadt Lüneburg im Bereich LSBTIQ schon ganz gut, und was seht ihr noch als größere Baustellen?
Für die Größe Lüneburgs gibt es ziemlich viele selbstorganisierte Strukturen, die LSBTIQ-Menschen unterstützen; neben Schlau Lüneburg gibt es zum Beispiel den Checkpoint Queer als Zentrum für Gruppen und als Gesundheitszentrum oder das queere AStA-Referat QuARG an der Uni und nicht zu vergessen das feministische Bündnis zum 8. März, das zu vielen wichtigen queer-feministischen Themen großartige Arbeit leistet. Auch lokale Schulen zeigen uns viel Interesse und Unterstützung und dafür sind wir sehr dankbar.

Was nicht so gut läuft, ist die finanzielle Priorität, die die Stadt Lüneburg antidiskriminierender und queerer Bildungsarbeit zuspricht. Jedes Jahr müssen wir erneut eine Projektförderung beim Landkreis Lüneburg beantragen und hoffen, dass wir unsere Mini-Job-Stelle ein weiteres Jahr finanzieren können. Eine institutionelle Förderung, die auch einen sicheren Arbeitsplatz für unsere Vereinskoordination ermöglichen würde sowie eine Planungssicherheit, ist leider immer noch nicht in Sicht. Am liebsten wollen wir unsere Bildungsarbeit nämlich allen Schulen und Gruppen kostenlos zur Verfügung stellen. Bildung und Akzeptanz darf nicht nur ein Thema für Institutionen mit Geld sein. Dafür bräuchten wir allerdings den Rückhalt der Stadt.

Darüber hinaus könnte sich die Stadt Lüneburg auch durchaus noch einiges abschauen bei anderen Städten zum Thema Gleichstellung. Dieses Thema beinhaltet viel mehr als nur „Frau und Mann“ – wie es auf der Seite der Gleichstellungsbeauftragen der Stadt Lüneburg leise impliziert ist.

Was wünscht ihr euch als Verein für die Zukunft?
Für die Zukunft wünschen wir uns, uns selbst abzuschaffen – auf sehr sehr lange Zeit. Also in einer Gesellschaft zu leben, in der queeres Leben nicht nur akzeptiert sondern auch aktiv unterstützt und geschützt wird und die Besonderheiten in allen von uns, als Stärken betrachtet werden und nicht als etwas, das es „auszugleichen“ gilt.

Denn dann braucht es unsere Bildungsarbeit vielleicht nicht mehr, weil es eine Selbstverständlichkeit ist. Bis dahin hoffen wir auf Unterstützung und Vernetzung in unserer Arbeit auf dem Weg in diese Zukunft. Dafür wünschen wir uns auch eine institutionelle Förderung zu bekommen, um langfristig eine Person auf 450 Euro Basis einstellen zu können, um unsere Arbeit auch weiterhin gut zu koordinieren. 

Gut zu wissen

LSBTIQ oder ähnliche Zusammensetzungen dienen als Abkürzung für „Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans-, intergeschlechtliche und queere Menschen“. Das Adjektiv queer ist ein Anglizismus. Er umfasst Personen aber auch Handlungen oder Dinge, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihres geschlechtlichen Selbstverständnisses von der gesellschaftlichen Heteronormativität abweichen.

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