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Sieben Ziele für die Wende

von Ute Lühr
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Umdenken. Das ist ein langwieriger Prozess. In den meisten Fällen jedenfalls. Und in den meisten Fällen benötigt es einen Anstoß, um das Geschehen in Gang zu bringen. Die Initiative Radentscheid will einen solchen Anstoß geben, Ideen und Menschen zusammenführen. Einen Kern von 16 Aktiven hat die Bewegung mittlerweile gefunden, dazu kommen etliche, die sich locker engagieren – so vielfältig wie ihre Mitstreiter, so vielfältig sind auch deren Beweggründe.
Da ist beispielsweise Sabine Gallei, die, seitdem sie mit ihrer Familie in Kopenhagen mit dem Fahrrad gefahren ist, weiß, was möglich ist. „Fahrradfahren in Städten muss nicht riskant sein“, sagt sie, „und alle Verkehrsbeteiligten können genug Raum haben, ohne sich gegenseitig zu gefährden. Lüneburg hat noch viel Potenzial für bessere Radwege. Das ist meine Motivation.“ 

Mehr Platz für Lastenräder

Da ist beispielsweise Hans-Joachim Schröder, dem es mit seinem Lastenrad wichtig ist, dass die Wege-Nutzungsbedingungen in der Zukunft verbessert werden. „Die jetzigen Voraussetzungen für Lastenräder sind schlecht. Ich nutze zurzeit viel die Straße. Da habe auch ich mit meinem langen und breiten Rad Platz. Lastenräder haben beim Einkauf mächtig Potenzial! Die Ladekapazität ist enorm. Auch dafür ist der Radentscheid wichtig: Die Radvielfalt darf mehr Raum bekommen, damit Lüneburg wieder Luftkurort werden kann!“, sagt er. Da ist auch beispielsweise Markus Zender, der meint: „Der Klimawandel und die zunehmende Umweltzerstörung machen mir Sorgen, es wird höchste Zeit, eine umweltfreundliche Mobilität ohne Kohlendioxid, Abgase, Lärm und Flächenverbrauch massiv zu fördern. Lüneburg hat dafür die besten Voraussetzungen: Fast alle Ziele innerhalb der Stadt sind mit dem Fahrrad zu erreichen. Allerdings sind die Radwege unsicher und mangelhaft. Damit die Infrastruktur in den nächsten Jahren besser wird, unterstütze ich den Radentscheid.“

Mitstreiter gesucht

Da ist beispielsweis auch Niels Hapke, der weiterhin auf ein Auto verzichten möchte und sich dafür einsetzt, dass seine Kinder sicher mit dem Rad in die Schule fahren können. Oder Theresa Berghof, die Radfahren für sozial und ökologisch hält und meint, dass es zu einem guten Leben für alle dazugehört. Und da sind Ronald Orth und Alexandra Augustin, die beide am liebsten mit dem Rad unterwegs sind – ob für den täglichen Weg oder in der Freizeit als Sport – und sich in der Verkehrsplanung nicht wirklich gesehen fühlen. Wie viele andere auch haben sie sich Mitte September vergangenen Jahres bei der Fahrraddemo durch Lüneburg getroffen, der ersten großen Aktion der Initiative, die zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Monaten existierte. Sie sind in Kontakt gekommen. „Die Demo war damals eigentlich schon unsere zweite Veranstaltung“, erklärt Ronald Orth, der von Beginn an dabei ist, „aber unsere erste wirklich bedeutsame.“ Schon im August hatten sich verschiedene Interessierte getroffen, um mit einem Sprung in die Ilmenau auf das Thema aufmerksam zu machen. Der eigentliche Startschuss lag da aber schon einige Zeit zurück: „Anfang vergangenen Jahres hatte die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Julia Verlinden, zu einem Abend rund um das Thema Verkehrswende geladen“, sagt der gebürtige Bremer, „da bin ich auf die ersten Mitstreiter gestoßen.“

Das RadGesetz

Denn das Thema Mobilität beschäftigt den 55-Jährigen schon länger, kreist durch seine Gedanken, juckt ihm in den Fingern. Ein Zeitungsartikel gab schließlich die Initialzündung, beschrieb das, was Ronald Orth nicht länger akzeptieren wollte: Flächengerechtigkeit. „Mir wurden die Augen geöffnet, mir wurde klar, dass es Möglichkeiten gibt, aktiv zu werden und Einfluss zu nehmen.“ Die hat er genutzt. Durch eine Anfrage während der Grünen-Veranstaltung hat er Menschen kennengelernt, die sein Thema unterstützen. Sie haben sich organisiert, zwar nicht als Verein, „denn wir suchten eine lockerere Form“, aber als Initiative, die sich der unabhängigen Bewegung „Changing Cities“ angeschlossen hat. „Die hat ihren Sitz in Berlin und vor vier Jahren erfolgreich einen Antrag auf ein Volksbegehren an das Berliner Abgeordnetenhaus übergeben“, erzählt der Psychologe. Ein Volksentscheid führte schließlich dazu, dass der Senat das sogenannte RadGesetz verabschiedet hat, mithilfe dessen Radfahren in der Stadt sicherer und attraktiver gemacht werden soll. Auch für Lüneburg ein Ziel.

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Prozent der Straße beanspruchen die Aktivisten für den Radverkehr

„Letztlich ist es ja bundesweit so, dass die Kommunen in der Regel einen autogerechten Zuschnitt haben und das Rad im Straßenraum dort untergebracht wird, wo noch Platz bleibt. Diese Wege sind dann meist schmal und voller Hindernisse“, so Ronald Orth, „das muss sich ändern.“ 70 bis 80 Prozent der öffentlichen Fläche würde der motorisierte Individualverkehr inklusive Parkraum in Anspruch nehmen, „der Anteil für den Rest ist da verschwindend gering“. Dabei habe nicht zuletzt der Klimawandel dafür gesorgt, dass ein Umdenken unbedingt erfolgen müsse ­– auch die Pandemie habe ihren Beitrag zu neuen Denkweisen bezüglich guter Mobilität geleistet: „Immer mehr Menschen fahren Rad.“ Intelligentere Städte seien deshalb die Herausforderung des 21. Jahrhunderts – ein Ansatz, den auch Alexandra Augustin unterstützt.

Ein Beitrag für die Umwelt

Neben dem Lüneburger gehört die 21-jährige Studentin zur Kerngruppe des Radentscheids. Aufgewachsen im französischen Lyon, nutzte sie dort vorzugsweise den öffentlichen Personennahverkehr, schwenkte erst spät aufs Rad um – das aber konsequent. Mittlerweile wohnt sie in Vögelsen, besucht die Leuphana. „Ich bin so einfach total flexibel, komme überall hin, bleibe in Bewegung und leiste einen Beitrag für die Umwelt“, sagt sie. Doch auch sie meint: „Die Infrastruktur ist schlecht, wir brauchen eine Verkehrswende.“ 
Eine Verkehrswende für ein Mehr an Lebensqualität und ein Mehr an Sicherheit, für weniger Luftverschmutzung und weniger Lärm – alles verpackt in sieben konkreten Zielen, mit denen sich die Initiative an die Stadt wenden will. „Wir streben ein Bürgerbegehren an“, sagt Alexandra Augustin, „das soll im Ratsbeschluss enden.“ Wird ihnen dieser verwehrt, soll ein Bürgerentscheid wie jüngst bezüglich der Flugplatznutzung erwirkt werden: „Sind alle Voraussetzungen dafür gegeben, muss die Politik diesem dann folgen“, erklärt die engagierte junge Frau – und das soll dann allen dienen. „Wir wollen die Stadt lebenswerter machen, Räume zum Verweilen finden, freie Flächen schaffen“, erklärt die Studentin, „dazu muss der Anteil der Straßenräume für den Radverkehr auf 40 Prozent gesteigert werden.“ Bessere Voraussetzungen für die Zweiräder bedeute ein verstärktes Umsteigen und das wiederum auch einen Gewinn für die Autofahrer: „Der Stau nimmt ab.“ Bis es so weit kommt, wird noch die eine oder andere Hürde zu nehmen sein, viel Engagement geleistet werden und viel Zeit vergehen. Doch auch wenn die Initiative mit ihren Bestrebungen scheitern sollte – eines hat sie sicherlich gegeben: den Anstoß zum Umdenken.

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