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Trinkt mehr Obst!

von Josephine Wabnitz
Erschienen: Zuletzt aktualisiert:

Ob der klassische Absacker nach dem Abendessen nun eine medizinische Wirkung hat oder nicht, zu einem guten Obstbrand sage ich nicht nein. Wie beim Wein bin ich auch hier experimentierfreudig und probiere gern Neues. Per Zufall kommt mir die holzfassgereifte Marille von der Birkenhof Brennerei in die Hände. Schon der Duft ist verführerisch, das Obst springt mir regelrecht aus dem Glas entgegen. Beim Probieren bin ich ganz betört von der saftigen Frucht und dem unerwartet weichen Abgang. Nanu, so kenne ich die Obstler gar nicht. Ob es da ein Geheimnis zu entdecken gibt?

Ein weiteres Mal begebe ich mich in die Welt der Brände und Geister. Foto: nh/tonwert21.de

Brennerei seit 1848

Von meinem Bruder erfahre ich, dass der angehende Nachfolger der Brennerei, Jonas Klöckner, gleichzeitig mit uns in Geisenheim studiert. Die Weinwelt ist eben klein – und ihr Herz liegt im Rheingau. Am Telefon erzählt mir Jonas, dass er im fünften Semester Getränketechnologie studiert. Wir unterhalten uns ein wenig über das Campusleben an der Hochschule, kommen aber bald auf das Unternehmen seiner Familie zu sprechen. Der Birkenhof liegt in der Gemeinde Nistertal im Westerwald, die Brennerei gibt es seit 1848. Der Name lässt es vermuten: Ursprünglich war dort ein Bauernhof. „Es ist aber schon lange her, dass hier noch Vieh gehalten wurde“, merkt Jonas Klöckner an. Die Brennkunst sei immer schon Familiensache: „Meine Eltern führen das Unternehmen nun in siebter Generation.“ Sein Bruder, der Bioprozesstechnologie studiert hat, gehöre schon seit 2018 zum Birkenhof-Team. „Nach meinem Studium möchte ich natürlich auch voll einsteigen“, erzählt mein Kommilitone. Bereits im letzten Sommer habe er seine Meisterprüfung zum Destillateur abgelegt, er steht also schon voll in den Startlöchern.

Breites Repertoire

Besser als das Vieh hat die Brenntradition die Jahrhunderte überdauert: „Anfangs wurde auf dem Birkenhof lediglich Korn gebrannt. Den stellen wir auch immer noch her.“ Drum herum ist jedoch im Laufe der Zeit ein breites Repertoire gewachsen. „Wacholder brennen wir schon seit über hundert Jahren, Gin ist für uns also ein alter Hut mit neuem Namen.“ Die Installation der Obstbrennerei in den 90er-Jahren hat viele Möglichkeiten eröffnet: „Es wird seitdem praktisch alles gebrannt, was sich nicht wehrt. Natürlich Obst, aber auch Salbei, Nüsse, Wildorangen, Möhren, Rote Bete, Bier …“ Heute werden in sechs verschiedenen Destillen Whisky, Rum, Gin, Likör und mehr produziert. Da wir schon beim Brennen sind – was hat es mit der alten Marille auf sich, die mir so gut gefallen hat? Natürlich ist mir klar, dass sich „alt“ nicht auf den Zustand der Früchte vor dem Brennen bezieht. Aber was ist da noch dran? „Im Grunde sind Marille, Birne oder Zwetschge so aromatisch, dass man denken könnte: Obstbrand mag jeder. Doch mit den puristischen Obstbränden kann nicht jeder umgehen; der Alkohol wirkt vielleicht zu kantig und nicht jeder mag dieses Mundgefühl. Um unsere Destillate etwas „mundzahmer“ zu präsentieren, werden sie im Cognacfass gereift. Deshalb heißt es ,Alte‘ Marille.“

Foto: BB_FeineSpirituosen®Gauls

Das Erlebnis Spirituose

Nach der Reifung werden die Destillate gekonnt mit Fruchtsaft abgerundet. So entsteht ein besonderes Aroma, das Getränk wird süffig und bekommt eine angenehme Süße. Jonas Klöckner ist davon überzeugt, dass so traditionelle Brennkunst und moderner Zeitgeist vereint werde. Viel mehr dürfe er über das besondere Herstellungsverfahren leider nicht verraten, es sei eben ein Geheimrezept. Sein Ziel ist, die Produkte der Brennerei deutschlandweit zu distribuieren. „Meine Eltern haben ein unglaublich tollen Betrieb aufgebaut. Nach fast anderthalb Jahrzehnten unter ihrer Führung findet man unsere Brände fast bundesweit, nur ein paar Gegenden hier und da fehlen noch. Rund um die Brennerei herum gibt es sicher keinen Haushalt, der nicht wenigstens eine Flasche von uns im Schrank stehen hat.“ Der imposante Birkenhof, der über dem schönen Westerwald thront, lässt sich sogar hautnah erleben. Unter normalen Bedingungen finden dort regelmäßig Führungen, Verkostungen und sogar Gin- und Whisky-Blending-Kurse statt. „Wir wollen unseren Besuchern das ganze Erlebnis Spirituose bieten. Der Geruch, der einem beim Betreten des Fasslagers oder Brennraums entgegen kommt, ist echt einmalig“, schwärmt Jonas.
Jetzt habe ich richtig Lust bekommen, auch die anderen Produkte der Brennerei zu entdecken. „Sobald es möglich ist, kannst du auch jederzeit vorbeikommen“, bietet mein Kommilitone an. „Bei uns vor Ort verkostet es sich immer am besten.“ Der anderthalbstündige Trip von Geisenheim aus würde sich sicher lohnen …

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