Winsen-Luhe, Barendorf, Kapstadt/Südafrika, Hamburg, Lüneburg – Philipp Rzeha ist schon weit herumgekommen und kann viele spannende Geschichten erzählen. Am spannendsten finde ich persönlich, dass der ehemalige Diplom-Kommunikationswirt inzwischen Gastronom aus Leidenschaft ist. Heute betreibt der Quereinsteiger und Autodidakt für neue kulinarische Kreationen und raffinierte Produkte die Viscvle in Lüneburg.
Seit einiger Zeit hat er auch nachhaltiges Kochen im Visier – und hat dafür sogar einen Jagdschein gemacht. Langweilig wird es bei ihm also nie. Wir müssen mal schnacken, lieber Philipp.
Moin Philipp, du bist Koch aus Leidenschaft und passionierter Jäger. Wann ist die Idee für das Konzept entstanden, das, was du selbst erlegt hast, auch in deinen Gerichten zu verwerten?
Ich würde gar nicht sagen, dass das geplant war und man hier von einem Konzept sprechen kann. Grundsätzlich ist es doch so, dass man sich als Kochinteressierter immer mehr Gedanken macht, wo etwas herkommt oder wie etwas verarbeitet wird. Das gilt für jedes Lebensmittel und eben auch für Fleisch. Ich denke, diese Neugierde hat mich einfach immer weiter getrieben die Wert- und Schöpfungskette von Tieren und Pflanzen kennenlernen zu wollen. Das hat mich beim Thema Fleisch zur Hausschlachtung, dem Wursten und schließlich auch zum Jagen gebracht.

Welche Tiere verarbeitest du genau? Verwertest du das Tier als Ganzes?
Im Restaurant verarbeiten wir neben Rindfleisch verschiedener Rinderrassen auch, allerdings selten, Schweinefleisch und immer häufiger Wildfleisch von Reh-, Rot- und Schwarzwild. Hierbei setzen wir seit Jahren bereits auf das Prinzip „Nose-To-Tail“, also von der Nase bis zum Schwanz. Heißt, wir wählen bei unseren Partnern ganze Tiere aus Freilandhaltung oder durch Eigenjagd aus freier Wildbahn, die nach der Schlachtung vollends in unserer Küche verarbeitet werden. Das reicht vom gereiften Rinder-Steak, über Schmorfleisch bis hin zum Burgerfleisch, Rippen und Beinfleisch. Aber auch nicht gefragte Schlachtstücke, wie Herz, Zunge, Leber und Niere übersetzen wir in unsere Speisen. Knochen werden bei uns zu Brühen und Soßen verarbeitet. Das verhält sich bei allen Tieren gleich. Neben der Verarbeitung von Frischfleisch produzieren wir auch immer mehr Wurstwaren. Die kommen bei unserem Frühstück am Wochenende zum Einsatz oder wir verkaufen sie in unserem On- und Offlinedeli für daheim. Die Hunde in unserem näheren Umfeld freuen sich zuletzt über abgekochte Knochen und Sehnen oder profitieren durch unsere selbst gebackenen Hundekekse beim Restaurantbesuch – ein weiteres Projekt, das wir stetig erweitern.
Wie bist du überhaupt zur Jagd gekommen?
Tatsächlich war das eine spontane Reaktion auf einen lang ersehnten Wunsch von mir. Ein guter Freund hatte seine Anmeldung in meinem Beisein zur Jagdschule gebracht. Als mich der Besitzer der Jagdschule dann fragte, wo meine Anmeldung sei, hab ich mich das auch gefragt und gehandelt. Der Wunsch Flora und Fauna besser zu verstehen, bestand schon seit Langem und ich nutze ja auch in der Küche gern mal Vergessenes aus der Natur. Letztlich hat es der Alltag des Restaurants nie zugelassen sich die Zeit zu nehmen. Ich wusste einfach in dem Moment – ich muss das jetzt machen!
Würdest du sagen, dass das Jagen dein Hobby geworden ist?
Ich finde der Begriff „Hobby“ trifft es nicht, da ich die Jagd nicht als Spaß betrachte, sondern als respektvolle Aufgabe empfinde. Selbstverständlich gibt es immer wieder schöne Momente, wie die Nähe zur Natur oder an der frischen Luft zu sein. Waidgerechte Jagd ist aber so viel mehr und darf nicht immer nur auf das Erlegen von Wild reduziert werden.
Wie sieht ein typischer Tag im Wald bei dir aus?
Einen typischen Tag im Wald, den gibt es nie. Das ist ja das Schöne daran. Es gibt allerdings Aufgaben, die regelmäßig wahrgenommen werden müssen, wie das Abschreiten von Wiesen und Äckern zur Kontrolle bzw. Prävention vor Wildschäden und die Pflege von Reviereinrichtungen. Den Ablauf einer klassischen Ansitz-Jagd kann man jedoch wie folgt beschreiben: Vorbereiten, anpirschen, ansitzen, abwarten, lauschen, abwarten, beobachten, abwarten, lauschen, abwarten, beobachten, abwarten, einschätzen, abwarten, einschätzen, ggf. schießen, bergen, aufbrechen, zerwirken, alles reinigen, schlafen legen. Wenn ich weit außerhalb von Lüneburg jage, geht das schon mal bis zum Morgengrauen. Danach küsst einen dann der Alltag wieder wach.
Lernt man das Schlachten eigentlich auch in der Ausbildung zum Koch, oder woher kannst du das?
Ich habe ja leider weder das Handwerk des Kochens noch des Schlachtens im klassischen Sinne einer Ausbildung gelernt. Darüber habe ich mich schon sehr häufig geärgert. Vielleicht ist auch mein Wissensdrang deshalb so groß. Ich würde mich einfach als besonders neugierigen Menschen beschreiben, der immer wissen will, wie, weshalb und warum etwas geht. Und ich packe Dinge gern an. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich so viele tolle Menschen kennenlernen durfte, die meinen Wissensdrang mit Geduld ertragen haben. Früher war ich im Schlachthaus auch nur „so einer mit ,nem Weber-Grill“, heute tausch ich mit den Profis Wissen und wir helfen einander. In meinem Restaurant gehört das Zerlegen heute klar zur Ausbildung. Wenn nicht in unserer eigenen Küche, dann als Praktikum beim Schlachter. Ich erwarte von meinen Köchen, dass sie wissen, wie anstrengend das Schlachten an sich ist. Das Ziel hierbei ist der respektvolle Umgang mit der Ressource Fleisch, und das sie am Ende ihrer Ausbildungszeit nicht nur Bratwurst drehen können, sondern selbst auch welche herstellen können.
Du hast jetzt direkt neben der Viscvle einen Offline-Shop. Seit Wochen wird bei euch geschlachtet und gelabelt. Erzähl doch mal, was ihr dort so an kulinarischen Leckereien im Verkauf habt. Wie bist du auf diese Idee gekommen?
Wir haben 2013 ja als Viscvle Deli gestartet. Ein Feinkostgeschäft mit innenliegender Gastronomie. Im Verlauf der Zeit sind wir aber immer stärker zum Restaurant avanciert, was mit unserem Umzug in die große offene Küche dann auch als offiziell beschlossen wurde. Das wieder Aufleben des Deli-Gedankens hatte ich während des Lockdowns. Da ich ein Mensch bin, der nie still sitzen kann, habe ich mir eines Nachts eine Kreissäge und Holz bestellt und kurzerhand aus unserem Gesellschaftsraum einen Einkaufsladen gebaut. Hier präsentiere ich jetzt mit meinen Köchen Feinkostartikel wie Senfe, fermentierte Limonen und andere Pickles, Grillsaucen, Dressings, Confite, Chutneys, vegane Aufstriche, Pestos, Öle und einreduzierte Saucen und Brühen. Neben unseren Wildsalamis und Pâtes haben wir auch kürzlich eine Black Angus Färse geschlachtet und bieten Burger, Steaks und Braten zum Verkauf. Langfristig ist es das Ziel, im Deli auch anderen kleinen Manufakturen aus der Region einen Platz zu geben, um sich zu präsentieren. Aktuell haben wir nun sogar tolle Biersorten von zwei klasse Jungs aus Reinstorf im Angebot. Die Pibe’s Brauerei verkörpert genau das, was ich an kleinen Manufakturen so schätze: Die Leidenschaft etwas Tolles mit Inbrunst und Freude zu produzieren und anderen näher zu bringen.
Was macht dir an deinem Job am meisten Spaß und was wünschst du dir für eure Branche mit Blick auf die Zukunft?
Am meisten Freude bereitet mir das Entwickeln von Gerichten und die Planung von Produkten. Kurzfristig wünsche ich mir für die Gastronomie eine schnelle Möglichkeit einer Wiedereröffnung. Das allerdings nicht um jeden Preis nur des Geldes wegen, sondern mit Bedacht und unter Berücksichtigung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen für einen gesunden Neustart und einen respektvollen Umgang im Leben danach mit Corona. Langfristig wünsche ich mir wieder mehr junge Menschen, die den Mut haben, sich den Berufsbildern in der Gastronomie zu stellen. Bundesweit erhoffe ich mir durch die Abstinenz der Gäste mehr Respekt gegenüber der Gastronomie und mehr Wertschätzung für das Küchenhandwerk und den geleisteten Service, wie es in anderen europäischen Ländern der Fall ist.