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Winzer in der Lüneburger Heide

von Josephine Wabnitz
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Es sind Semesterferien; gemeinsam mit meinem Vater mache ich einen Ausflug nach Groß Thondorf in der Lüneburger Heide. Unser Ziel: Hof Alvermann, ein auf den ersten Blick klassischer Biobauernhof. Doch beim Eintreten in das kühle Gemäuer mit kleinem Ladenbereich fallen mir sofort die vielen Weinflaschen auf, die die Regale zieren. „WITT“ (plattdeutsch für „weiß“) steht auf einer Tafel, „aus eigenem Anbau“. Äh: Wein?? So hoch im Norden? Solche und ähnliche Fragen sind unsere Gastgeber Jan und Monika Alvermann längst gewohnt. Ihre kurze Antwort darauf lautet: „Ja, natürlich!“, für die ganze Geschichte müssen sie jedoch etwas mehr ausholen.

Rebanbau auf heimischer Erde

Jan Alvermann ist niedersächsischer Landwirt mit Herz und Seele. Und doch schlummerte in ihm immer auch eine fremde Leidenschaft: der Wein. Bereits vor 30 Jahren hat er in Rheinhessen zwei Jahre lang auf einem Weingut gearbeitet. „Nach meiner Ausbildung hatte ich große Lust, auch andere Bereiche der Landwirtschaft kennen zu lernen. Besonders interessant fand ich im Weinbau die große Spannbreite vom Anbau über Kellerarbeit und Abfüllen bis zur Vermarktung an den Endkunden.“ Der Traum vom Rebanbau auf heimischer Erde war geboren und schlummerte jahrzehntelang in ihm. Es schien aussichtslos, doch endlich erhielt er im Jahr 2017 die Genehmigung für die Anpflanzung von Weinreben zu kommerziellen Zwecken. Dafür war allerdings ein Bewerbungsverfahren nötig: „Zunächst mussten wir nachweisen, dass wir über entsprechende nutzbare Agrarfläche verfügen. Auch für die Bepflanzung gab es klare Richtlinien von mindestens 2000 Reben pro Hektar.“ Sogar die Abstände zwischen den Pflanzen seien festgelegt: „Das ist beinahe Millimeterarbeit und wird streng überprüft.“ Typisch deutsch eben.

Reben gedeihen nur im Süden, denkt man. Doch das stimmt nicht ganz … Foto: nh/tonwert21.de

Keine Probleme

Inzwischen bewirtschaftet das Ehepaar vier Hektar Rebfläche, dabei solle es auch erstmal bleiben. „Unser lehmiger Sandboden eignet sich prima für Weinanbau so hoch im Norden. Über Spätfröste müssen wir uns ebenso Gedanken machen wie unsere Winzerkollegen im Süden. Die Eisheiligen zum Beispiel können Frostschäden in ganz Deutschland verursachen.“ Durch den Nordwind, der über die Parzellen in der Lüneburger Heide fegt, entstünde gar kein Nachteil, wie man denken könnte. Tatsächlich senkt er laut Jan Alvermann das Risiko auf Pilzerkrankungen im Weinberg. Im letzten Jahr sei deshalb nur eine vorsorgliche Kupferbehandlung zum Pflanzenschutz nötig gewesen. Eigentlich hätte ich erwartet, dass er von mehr Problemen mit dem nördlichen Klima berichten würde. Wenn dem nicht so ist, welche besonderen Herausforderungen gibt es denn noch?

Niedersächsischer Weinbauverband

„Die fehlende Infrastruktur macht uns zu schaffen“, so der Landwirt. „In Rheinhessen hat jeder Baumarkt um die Ecke alles, was das Winzerherz begehrt. Hier suche ich nach Schneidescheren und Pflanzenschutz vergeblich, von geeigneten Maschinen ganz zu schweigen.“ Eine weitere Hürde stellt die rechtliche Lage dar, immerhin gibt es in Niedersachsen keinen geografisch geschützten Anbau. „Da diese Region kein Weinbaugebiet ist, sind wir bei der Bezeichnung unserer Weine sehr eingeschränkt.“ Auf dem Etikett dürften weder das Wort „Weingut“ noch Geschmacksangaben wie „trocken“ oder „halbtrocken“ stehen. Lediglich der bescheidene Ausdruck „Deutscher Wein“ ziert die Flasche. „Deshalb sind wir Mitglied im Niedersächsischen Weinbauverband.“ Wie bitte? Es gibt einen solchen Verband und somit noch mehr Winzer hier? Ich bin erstaunt. „Aber klar. Zusammen mit 18 anderen Kollegen setzen wir uns dafür ein, dass sich der hiesige Weinbau verbreitet“, erzählt Monika Alvermann. Noch 18 weitere Betriebe! Mir scheint, ich lebe mitten in einer Weinwelt und weiß gar nichts davon.

Foto: nh/Alvermann
Foto: nh/Alvermann

Weiter Transport

Noch befindet sich diese Welt aber im Aufbau: Zurzeit findet die Kellerarbeit der „WITT“-Weine in einem 500 km entfernten Weingut statt. „Der Aufwand ist immens. An jedem einzelnen Lesetag werden die Trauben nach Dexheim in Rheinland-Pfalz gebracht und dort vinifiziert.“ Der Transport hat es in sich: Die Trauben müssen fortwährend gekühlt werden, damit sie nicht schon auf der Autobahn zu gären beginnen. „Noch überlassen wir den Ausbau unserer Weine dem dortigen Kellermeister, auch wenn wir natürlich über jeden Schritt selbst entscheiden.“ Langfristig wünscht sich Jan Alvermann einen eigenen Keller.

Biologischer Anbau

Als Weinstudentin interessiert mich natürlich brennend, für welche Rebsorten sich die beiden entschieden haben. Tatsächlich wird man Riesling & Co. in Groß Thondorf nicht finden; hier wachsen ausschließlich PIWI-Sorten, über die ich gerade erst in meinem letzten Artikel berichtet hatte. „Wir setzen rundum auf biologischen Anbau, daher wussten wir von Anfang an, dass wir auch die Rebflächen biologisch bewirtschaften wollen. Es war also naheliegend, gleich pilzresistente Neuzüchtungen anzupflanzen“, erzählt Monika Alvermann. Insgesamt haben sie sieben Varietäten, drei davon stehen schon im Ertrag.

Mit feinen Muskataromen

Apropos Rebsorten: Zum Schluss gibt es natürlich eine kleine Verkostung des 20er-Jahrgangs. Auf die Gläser mit eigenem Logo ist das Ehepaar schon ein wenig stolz. Wir beginnen mit dem frischen „Solaris“, der mir als Rieslingfan mit seiner knackigen Säure sehr zusagt. Anschließend schenkt Jan Alvermann den mit feinen Muskataromen und tollem Trinkfluss überzeugenden „Phoenix“ aus. Zum Schluss gibt es noch einen kleinen Schluck „Rondo“ Rosé, dessen Lagerbestand aufgrund überaus positiver Resonanz leider schon zur Neige geht. Ob es im Herbst vielleicht zum ersten Mal sogar Rotwein geben wird, können mir die beiden Winzer noch nicht versprechen. Für den Moment bleibt also nur Hoffen aufs Weinjahr 2021.

 

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