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Ein guter Wurf!

von Ute Lühr
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Wenn es kalt ist, ist Hochsaison. Zumindest in Deutschlands Nordwesten. Dann treffen sich die Sportler in Trainingshosen, Mützen und dicken Jacken zum Liga-Spiel, machen die Landstraße zur Arena, nutzen die Gräben als natürliche Hindernisse und lassen den Verkehr warten.
In Ostfriesland kennt das jeder. In der Heide nicht. Deshalb gelten hier auch andere Regeln. Geboßelt wird nur im Sommer und nur in Amelinghausen. Elke und Erich Seide sei Dank. Vor mittlerweile 14 Jahren hat das Ehepaar diese besondere Passion von der Nordsee in Richtung Elbe gebracht. Durch Zufall, wie die beiden sagen. „Wir haben das mal gesehen und fanden das für unsere Gemeinschaft ideal.“ Die Gemeinschaft, das sind rund 70 rüstige Seniorinnen und Senioren, die sich 2004 zusammengefunden haben, zunächst als lockerer Verbund, mittlerweile als fester Verein.

Nicht nur schnurstracks geradeaus

„Seniorentreff Amelinghausen“ heißt dann auch die große Gruppe, die sich unter Vorsitz von Elke Seide um gesellige Stunden für Ältere kümmert. Wandern, Radfahren – und eben auch Boßeln gehört neben Ausflügen und Veranstaltungen zum festen Programm. Zwischen April und Oktober treffen sich die zwölf bis 14 Aktiven jeden vierten Freitag im Monat mit Bollerwagen und Kugeln zum Sport. Vom Parkplatz Kronsbergheide geht es dann die gut drei Kilometer bis zur Oldenburger Totenstatt. Eigentlich ist es aber fast die doppelte Strecke. „Wir gehen ja nicht schnurstracks geradeaus“, sagt Erich Seide, „sondern immer wieder vor und zurück.“ Das lässt sich beim Boßeln auch kaum vermeiden. 

Foto: nh/tonwert21.de

Rotes oder gelbes Team

Zwei Teams messen sich bei diesem ostfriesischen Nationalsport miteinander, die Regeln sind klar und nicht kompliziert, wie Elke Seide erklärt: „Letztlich hat jede Mannschaft eine Kugel, die sie über eben diese vorher definierte Strecke mit einer möglichst geringen Anzahl an Würfen voranbringen muss. Wer am Ende weniger Versuche benötigt, hat gewonnen.“
Zu Beginn der Veranstaltung werden die beiden Gruppen eingeteilt, das erfolgt mittels kleiner Schnipsel, die die Teilnehmer zum roten oder gelben Team zuordnen – entsprechend den Farben der beiden Kugeln. 

Verlust ist teuer

Exakt 1100 Gramm wiegt jede von diesen, gekauft hat das Ehepaar sie über das Internet im ostfriesischen Fachhandel. Schwer liegen sie in der Hand, und das muss auch so sein. Hüpfen sollen sie auf dem festen, sandigen Untergrund nicht. Denn entgegen den Kollegen in Ostfriesland nutzen die Spieler in der Heide keine asphaltierten Straßen – das wäre auch zu gefährlich, sind die Verkehrsteilnehmer dieses Bild doch auch nicht gewohnt. Wie an der Küste gehen aber auch hier die einzelnen Teammitglieder immer mal voraus, um zu überprüfen, wohin die Kugel rollte. Denn Verlust ist teuer. „Immerhin 70 Euro kostet so ein Exemplar“, sagt Elke Seide, „und ist hier eben auch gar nicht so zu kaufen.“

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Gramm wiegt eine Boßelkugel aus Gummi.

Kaffee und gelegentlich einen Schnaps

Ergänzt wird die Ausstattung durch einen langen Kescher, auch Gaffel genannt, mit dem ein missglückter Wurf aus Gebüsch oder Wasserhindernissen gefischt werden kann. Ansonsten nehmen die Amelinghausener auch immer einen Bollerwagen mit auf Tour, „der ist aber vornehmlich für Gepäck und Verpflegung“, so die Vereinsvorsitzende, „und weniger für Alkohol.“ Getrunken wird beim Boßeln wenig, Kaffee ist dabei, ganz selten gibt es einen Schnaps. In Ostfriesland ist das nicht anders: Die echten Sportler spielen nüchtern, haben mit den Freizeitveranstaltungen für Touristen nichts gemein. 

Lange Tradition

Rund 30 000 Aktive kämpfen in Deutschlands Nordwesten in Landes-, Bezirks- und Kreisligen um Sieg und Punkte, dazu kommen noch einige Tausend in Schleswig-Holstein, in den Niederlanden, in Irland und Italien. Einige Hundert gibt es auch in Nordrhein-Westfalen sowie im niedersächsischen Nordhorn: Boßeln hat eine lange Tradition. Nach ersten Anfängen im 17. Jahrhundert entwickelte sich der Sport Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem artverwandten Klootschießen. Wird dieses als Mannschaftsveranstaltung primär auf winterlichen Äckern ausgetragen, wuchs die Beliebtheit des weniger anspruchsvollen Straßenwettkampfs mit der Zunahme an befestigten Wegen. 

Gäste willkommen

Zum Freizeit- und Breitensport wurde das Boßeln aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. In Amelinghausen seit 14 Jahren. Eine feste Gruppe trifft sich dort einmal im Monat, Gäste sind aber willkommen, wie Elke Seide erklärt: „Wir sind auf dem Parkplatz auch schon mal angesprochen worden von Menschen, die ganz neugierig waren. Die haben wir kurzerhand eingeladen und mitgenommen.“ Ansonsten können Kugeln und Kescher auch ausgeliehen werden. Die Nachfrage ist auch in der Heide durchaus vorhanden.

Foto: nh/tonwert21.de

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