Startseite » Schäfchen zählen

Schäfchen zählen

von Gastautor
Erschienen: Zuletzt aktualisiert:

Schon gewusst? Den Beruf des Schäfers bzw. der Schäferin gibt es seit etwa 5000 Jahren. Im „Naturschutzgebiet Lüneburger Heide“ sind aktuell 16 Aktive inklusive Azubis tätig. Im Fachjargon schimpft sich das „Tierwirt/in der Fachrichtung Schäferei“ und ist ein anerkannter Ausbildungsberuf in der Landwirtschaft. Schafe oder auch Ziegen werden gehalten und gezüchtet, um z. B. deren Fleisch, Wolle, Felle und Käse zu verkaufen. Ein zweiter wichtiger Aspekt des Berufs ist Landschaftspflege. In Deutschland gibt es momentan ca. 950 aktive SchäferInnen. Knapp ein Zehntel davon sind Frauen. Die 25-jährige Josefine Schön aus Döhle ist eine davon und hatte Zeit für einen Schnack.

Moin Josefine, stelle dich doch einmal vor. Und wo begegnet man dir, wenn du nicht gerade in der Heide Ziegen oder Schafe hütest? 

Geboren bin ich in Großenhain in Sachsen, aufgewachsen in einem kleinen Dorf nahe Dresden. Daher gehören Tiere schon immer zu meinem Lebensumfeld, in meiner Kinder- und Jugendzeit habe ich zuhause gern alle Haustiere umsorgt. Bei meinen Eltern gab es Pferde, Hühner, Katzen, Meerschweinchen und einen Familienhund. Bei unseren Nachbarn gab es auch Schafe und Ziegen. Ich bin gelernte Tierwirtin mit Fachrichtung Schafhaltung, umgangssprachlich: „Schäferin“. 2014 habe ich bei der Stiftung Naturschutzpark Lüneburger Heide meine Ausbildung zur Schäferin begonnen, 2016 abgeschlossen und bin seither bei der Stiftung als angestellte Schäferin im Einsatz. Bis zum Frühjahr dieses Jahres habe ich die Ziegenherde hier im Betrieb betreut. Inzwischen sind mein Freund, der ebenfalls gelernter Schäfer ist, und ich nun an der Heidschnucken Herdbuchherde in Döhle tätig. 

Wenn man das „Schäfer sein“ so richtig lebt, bleibt einem leider meist nicht so viel Zeit für andere Dinge über. Gerade jetzt zur Sommerzeit helfe ich gerne befreundeten Schafhaltern in der Umgebung deren Schafe „nackig zu machen“ – ich schere selber super gern Schafe und verarbeite mit meinem Spinnrad die Wolle und verstricke sie. Ich finde etwas Ruhe von der Arbeit, wenn ich bei meinem Pferd bin, die Heide auch mal entspannt aus dem Sattel zu Pferd genießen kann, oder mit meinen Hütehunden eine Feierabendrunde durch die Landschaft drehe. Pferd, Hunde, Hühner, Katzen und Meerschweinchen wollen bei mir zuhause auch vor und nach der Arbeitszeit versorgt werden.

Du hast in deinem Job hauptsächlich männliche Kollegen, oder? 

Als ich meine Ausbildung begann, war ich die einzige Frau unter neun Schäferkollegen. Die Anzahl weiblicher Lehrlinge in meinem Berufsschuljahrgang war da schon ausgeglichener. Gerade in den letzten Jahren hat sich die Anzahl an Schäferinnen und weiblichen Lehrlingen erhöht und in unserer Schäferabteilung arbeiten aktuell mit mir eine weitere Schäferin und zwei weibliche Auszubildende. Ich denke unser Job in der Schäferei ist vor allem nicht besonders familienfreundlich, gerade auch, wenn man in einer Hüteschäferei tätig ist. 

Lange Arbeitszeiten und ein Leben nach dem Wohl der Tiere gerichtet, ist für die meisten jungen Menschen eher abschreckend, da es meist wenig Zeit für Freizeit und Freunde gibt. Außerdem muss man neben einem guten Verständnis und Blick für die Tiere auch zupacken können. In der kleinen Schäferwelt muss man sich als Frau daher manchmal erst profilieren. 

Foto: nh/Josefine Schön

Wie ist dir das gelungen? 

Ich denke, ich bin vom Typ her schon eher jemand, der gerne richtig arbeitet, anpackt und auch an seine Grenzen geht. Ich versuche erst immer alles selber zu schaffen und neue Dinge auszuprobieren, stehe mir aber auch nicht selber im Weg, wenn ich doch mal Hilfe benötige. Die Arbeit draußen bei jedem Wetter hat mich körperlich sehr fit gemacht, Erkältungen gibt es bei mir nicht mehr, oder wenn dann hat man zwei Tage mal einen Schnupfen. 

Man muss sicherlich Leidenschaft für diesen Beruf mitbringen und sich dieser Tätigkeit mit ganzem Herzen annehmen. Neugierig, wissbegierig und bereit sein, sich selbst zu entwickeln. Und man sollte auch nicht nur die Sonnenseiten des Berufes sehen. Ich bin froh, dass ich ein hohes Verständnis und Einfühlungsvermögen gegenüber Tieren besitze und mit ihnen mit Ruhe und viel Geduld arbeiten kann. Wenn man sein Gegenüber richtig lesen kann, erleichtert das die Arbeit ungemein.

In deinem Alter verschlägt es viele junge Menschen beruflich in die „große weite Welt“. Du hast einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Was hat den Reiz des Schäferinnen-Daseins für dich ausgemacht?
Mein Umzug zu Ausbildungsbeginn von Sachsen in den Norden, war damals für mich schon eine persönliche „Weltreise“. Ich war eher der heimische Typ und hätte erst lieber in unmittelbarer Umgebung einen Ausbildungsplatz finden wollen. Mit Tieren arbeiten wollte ich tatsächlich schon immer, ein Bürojob wäre für mich nicht in Frage gekommen. Als ich mein Praktikum bei der Stiftung Naturschutzpark Lüneburger Heide gemacht habe, verliebte ich mich sofort in die Landschaft und die Arbeit mit den Schafen. Da ist direkt ein Funke übergesprungen, der sich bis heute gehalten hat. Begeistert hat mich am Anfang besonders auch die Auswirkung des Gesamten: Nicht nur allein für die Schafe zu arbeiten, sondern im Naturschutzgebiet auch im Team mit den Schafen für die Landschaftspflege und den Artenschutz tätig zu sein. 

Ist am Klischee des romantischen, nomadenhaften Schäferlebens eigentlich was dran?
Neben den Schlecht-Wetter-Tagen und einer guten Portion Organisationstalent besteht Schäferei heutzutage vor allem auch aus einem Großteil Bürokratie. Von Beantragungen für Zuschüsse und Gelder für Flächen, um überhaupt überleben zu können, bis hin zu kleineren Formalitäten zu Tierverkäufen und Transporten etc. will in Deutschland alles geregelt sein. Leider wächst zudem vielerorts auch noch die Sorge, seine Tiere ausreichend vor der zunehmenden Anzahl von Wölfen zu schützen.
Bereut habe ich aber bisher nichts. Ich gehe für mich persönlich in meinem Beruf sehr auf und auch wenn es gelegentlich eher stressige und erschöpfende Tage gibt, holt mich die Ruhe einer zufrieden und glücklich grasenden Herde in der Landschaft wieder ein.

Die Schäferei gehört zu den ältesten Gewerben der Welt. Viele Aktive gibt es heute aber nicht mehr. Wie blickst du persönlich in die Zukunft?
Zum einen gibt es für die körperlich harte und zeitaufwendige Arbeit weder genügend Anerkennung noch den finanziellen Anreiz und Unterstützung. Die Menschen kaufen lieber billiges Importfleisch aus Neuseeland, als regionale Schäfereien und deutsches Qualitätsfleisch zu unterstützen. Genauso ist die Wertigkeit der Schafswolle kaum noch attraktiv. Schäferei wird zum Zubrotgeschäft und gerade auch der immer mehr werdende technische und bürokratische Aufwand lassen ältere Schäfersemester kapitulieren. Auch die unvorhersehbare gestiegene Zunahme an Wölfen und Übergriffen auf Schafsherden in den letzten Jahren bewegt einige Kollegen zur Aufgabe, wenn die eigenen geliebten Tiere trotz jeglicher Schutzmaßnahmen vor mehrmaligen Wolfsübergriffen nicht geschützt werden können und man hilflos wird.  

Aktuell kann man dich auch im TV beim NDR sehen. Ist das ein erster Schritt zu mehr Anerkennung?
Ich passe als Person eigentlich nicht so richtig in das typische Bild eines Schäfers und das macht es gerade so TV-beliebt. Vielleicht regt es das Interesse einiger an, um für neuen Schäfereinachwuchs zu sorgen, der so dringend benötigt wird. Meistens wird von den Zuschauern auch eher das romantische Bild der Schäferei gewünscht und daher oft auch nur das aufgezeichnet: Schäferei bei Sonnenschein zur Heideblüte oder wenn die süßen kleinen Lämmer zur Welt kommen. Trotzdem erkennen aber auch immer mehr Leute den Wert der anstrengenden Arbeit. 

Wie sieht ein ganz normaler Arbeitstag für Josefine Schön denn aus? 
Für mich steht an wichtigster Stelle, die Tiere satt zu hüten und für deren Wohl zu sorgen. Das heißt, ich muss einschätzen können, welche Futterart meine Tiere zu welcher Tageszeit brauchen, um zufrieden zu sein, wo in meinem Gebiet das richtige Futter wächst und nebenbei durch das Abfressen der Schafe von Gras und Heide die Landschaft zu pflegen. Die Lüneburger Heide ist eine Kulturlandschaft, durch die Beweidung mit Schaf- und Ziegenherden wird durch den Verbiss die Heide gepflegt, damit sie neue junge kräftige Pflanzentriebe austreiben kann, somit verjüngt wird und schön blüht. Die Herden fressen nicht nur die Gräser um die Heidepflanzen herum frei, um „Unkraut zu jäten“, sondern auch die aufkommenden Kiefern und Birken ab, damit die Heide als Landschaft nicht verwaldet. 

Wir pflegen auch Moorflächen, um Biotope offen zu halten und so für Artenreichtum zu sorgen. Aber nicht nur die Heidepflege ist ein wichtiger Bestandteil im Naturschutz: liegen gebliebener Schafskot hat zum Beispiel einen netten Nebeneffekt, denn dieser ist eine wichtige Nahrungsquelle für Käfer und Insekten, welche wiederum als Nahrungsquelle für Vögel dienen. Auch die Schafswolle ist ein natürliches „Transportmittel“ von Pflanzensamen, die hängen bleiben und sich so über ein Gebiet verbreiten können. Neben der Hütearbeit – wir hüten die Herden acht Stunden täglich bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit – fallen täglich Stallarbeiten an, die Versorgung kranker Tiere und der Hütehunde und gelegentliches Einstreuen des Schafstalles sowie Hofarbeiten. Manchmal müssen die Herden auch im gesamten entwurmt oder behandelt, Klauen geschnitten werden und einmal im Jahr kommt der Schafsfriseur.

Foto: nh/Josefine Schön

Stichwort Friseure – die haben Kamm und Schere, Maurer eine Kelle. Was ist dein wichtigstes Werkzeug und wozu benutzt du es?
Zur Schäferausrüstung gehört dazu: ein Hut, ein guter Regenschutz, dann vor allem die Schäferschippe, das ist der Hütestock, der den Schäfer nicht nur vor dem Umkippen beim Schlafen bewahrt, sondern der einem mit einem angebauten Fanghaken auch das Schafefangen erleichtert. Außerdem dient er als Zeigestab für Richtungsanweisungen und Kommandos für den Hütehund, wenn er in weiterer Entfernung an der Herde arbeitet. Ein Klauenmesser gehört auch dazu, falls die Fingernägel zu lang geworden sind – die der Schafe natürlich. 

Meine wichtigsten Arbeitspartner, sind jedoch meine Hütehunde, ohne die mich die Schafe in der Fläche einfach stehen lassen würden. Die Hunde halten mir die Herde nicht nur auf Kommando zusammen, sie begrenzen auch Äcker und Wiesen, wo die Schafe nicht drauf sollen, oder finden sogar verloren gegangene Schafe im Moor wieder. Ein gut ausgebildeter Hütehund, sagt man, kann bis zu 10 Mitarbeiter in der Schäferei ersetzen. Und sie sind einfach Seelenpartner, wenn man von irgendwas mal genervt ist. Mein persönliches wichtigstes Arbeitsmittel ist jedoch meine Tafel Schokolade. Ohne die werde ich am Tag nicht glücklich.

Die wichtigste Frage zum Schluss: Zählst du nachts vor dem Schlafengehen Schäfchen? 
Wenn ich ins Bett komme, falle ich meist sofort in komatösen Tiefschlaf, aus dem mich höchstens noch ein Nebelhorn wecken könnte. Da verpasse ich meist das Schäfchen-Zählen … Auf der anderen Seite, wäre es natürlich sehr unpraktisch, wenn ich tagsüber dauernd beim Anblick der vorbeiziehenden Schafe einschlafen würde.

Weitere interessante Artikel