Woher kommt das Gemüse auf meinem Teller? Wie viel Zucker am Tag ist gesund? Können Burger auch ohne Fleisch richtig gut schmecken? Was kann ich Gutes für meine Umwelt tun? Wie trenne und verwerte ich am besten Müll? Iris Pottek und Julia Kaiser stellen sich Fragen wie diesen jedes Mal aufs Neue, wenn sie im Klassenraum stehen. Beide Frauen engagieren sich für den gemeinnützigen Verein gelbetomaten e. V., der Kinder und Jugendliche durchs Kochen an eine selbstständige, gesunde und nachhaltige Ernährungsweise heranführt und ihnen dabei hilft, ein Bewusstsein für Lebensmittel zu entwickeln. Iris Pottek und Julia Kaiser haben den Verein mitgegründet und sind heute im Vorstandsteam. Mehrfach wurden die „gelbentomaten“ bereits für ihr Engagement ausgezeichnet. 2020 nahmen das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und das Bundesministerium für Gesundheit ihr Bildungsprojekt „Kochen und Erleben@school“ in die Initiative „In form – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ auf. Iris Pottek und Julia Kaiser setzen mit ihrem Team auf Nachhaltigkeit. Gemeinsam mit Schülern bereiten sie Rezepte zu, unternehmen Ausflüge in den Supermarkt oder zum Produzenten. Sehen, verstehen, verinnerlichen. Darum geht es. Im lockeren Austausch bekommen die Mädchen und Jungen einen persönlichen Bezug zu ihrem Konsum und dessen Konsequenzen.
Frau Pottek, wann beginnt Ernährungsbildung?
Iris Pottek: Ganz früh. Eigentlich schon direkt in der Schwangerschaft. Oftmals wissen junge Mütter nicht, was sie ihren Kindern zubereiten sollen. Da müssen wir früh anfangen aufzuklären, aber nicht mit erhobenen Zeigefinger.
Richtige oder falsche Ernährung – Inwieweit lässt sich davon sprechen?
Iris Pottek: Ich denke, man muss immer das gesunde Mittelmaß finden und aufpassen. Damit läuft man gut. Deshalb gibt es richtig oder falsch nicht.
Was möchten Sie beide durch Ihre Arbeit erreichen?
Iris Pottek: Wir wollen aufklären, was Lebensmittel und ihre Wertschätzung angeht. Das ist ganz wichtig. Deshalb gehen wir auch auf die Höfe, um den Kindern zu zeigen, was der Landwirt macht, um das Bewusstsein zu stärken. Wir möchten gerne bundesweit erreichen, dass jedes Kind in den Genuss kommt, dies zu lernen.
Julia Kaiser: Das betrifft auch höhere Klassenstufen wie 7., 8., 9. Klasse. Es ist wichtig, dass man Kinder und Jugendliche in jeder Lebensphase abholt. Dass man in diesem Alter auf Pizza und Pommes steht, ist völlig ok. Man muss sie halt dann mit den richtigen Angeboten abholen und schöne Projekte anbieten. So lassen sich auch super Pizza und Döner selbst zubereiten. Das Selbermachen steht bei uns immer im Vordergrund. Es geht gar nicht darum, Verbote auszusprechen oder zu sagen, das ist richtig oder falsch. Sondern einfach zu sagen: Mach selbst. Dann weißt du, was drin ist. Wenn man weiß, wie etwas zubereitet wird, kann man es auch ganz anders bewerten und wertschätzen.
Iris Pottek: Ein großes Thema ist auch Lebensmittelverschwendung. Es wird einfach viel zu viel weggeschmissen. Natürlich spielen auch Regionalität und Saisonalität eine große Rolle. Daher klären wir auf und versuchen ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Das ist Ernährung und das A und O.

Frau Kaiser, welchen Problemen begegnen Sie immer wieder?
Julia Kaiser: Es wird leider immer weniger selbst gekocht. Dadurch, dass oft beide Eltern arbeiten gehen, bleibt wenig Zeit und man bedient sich im Supermarktregal entsprechend bei den ganzen Convenience-Produkten, die einem helfen schneller zu kochen. Es ist nicht so, dass es zwischen den Eltern und Kindern schlecht läuft, denn sie wollen immer das Beste für ihr Kind. Nur manchmal schaut man in die Brotdose und sieht da diese vielen eingepackten Sachen. Wenn man hingegen zu Hause das Essen gemeinsam lebt, ist das richtig gut. Wir merken schnell, ob Kinder schon mal mit ihren Eltern gekocht haben oder nicht. Die Kinder imitieren ja, was die Eltern ihnen vorleben. Das ist eigentlich die Stellschraube, die man drehen kann, indem man sagt: Macht mehr selbst, nutzt das Kochen als Hobby, macht etwas zusammen zu essen und tut gleichzeitig etwas für eure Gesundheit. Es kann so einfach sein. Aber wir haben das ein bisschen aus unserem Alltag verbannt.
Sie sagen, dass Familien im Alltag oft die Zeit fehlt. Wie wichtig ist es denn, dass Kinder gemeinsam mit ihren Eltern kochen?
Julia Kaiser: Sehr sehr wichtig. So wäre es eigentlich am einfachsten. Sie können sich beim Kochen austauschen, machen etwas miteinander. Häufig sehen wir Kinder in unserem Ernährungsprojekt der dritten Klasse, die zum ersten Mal einen Sparschäler in der Hand halten und nicht wissen, was sie damit machen können. Mit neun kann man eigentlich schon viele Dinge selbst machen. Dann gibt es wiederum andere Kinder, die ihr Frühstück selbst zubereiten. Aber leider sind da immer noch viele Kinder aufgeschmissen. Das Gute ist, dass alle, die wir kennenlernen Lust haben, sich damit zu beschäftigen. Wenn wir in die Schulen kommen, können sich die Kinder kaum auf ihren Plätzen halten. Sie wollen anfangen zu schälen, zu schneiden, zu rühren.
Was für ein Feedback bekommen Sie?
Iris Pottek: Die Rückmeldungen sind positiv. Die Kinder merken sich, was sie mit uns gelernt haben und die Familien erzählen uns im Nachhinein, dass sie jetzt ganz anders einkaufen. Das Bewusstsein wird gestärkt. Meistens ist es einfach Unsicherheit oder der „Supermarktdschungel“, wo sich viele nicht zurechtfinden.
Inwiefern spielt denn die klassische Ernährungspyramide in Ihrem Unterricht eine Rolle?
Julia Kaiser: Wir arbeiten mit der Ernährungspyramide. Sie ist immer dabei. Unser Schulprojekt ist aufgegliedert in acht Wochen mit immer zwei Stunden. Da machen wir die erste Dreiviertelstunde Unterricht mit der Ernährungspyramide und danach gehen wir erst an die Rezepte und bereiten sie zu. So lernen die Kinder, die Lebensmittel einzuordnen. Zudem führen sie ein Ernährungstagebuch. Anhand der Ernährungspyramide sollen sie schauen, was sie eigentlich am Tag essen. Die Schüler müssen ihre Lebensmittel erforschen, um zu sehen, aus was sie bestehen. Gleichzeitig sollen sich die Kinder auch selbst beobachten, wie sie sich beispielsweise an einem Tag fühlen, an dem sie viel Getreide oder viel Gemüse gegessen habe. Sie stellen sich dadurch die Frage, ob Lebensmittel Einfluss auf das eigene Wohlbefinden haben. Eine große Rolle spielen auch die Getränke. Die Basis ist ja Wasser. Wir vergleichen das immer mit einem Auto, das viel Sprit braucht, um zu fahren. So brauchen wir halt Wasser. Wir fragen die Kinder immer, was ihre Lieblingsgetränke sind. Sie sollen dann überlegen, wie viel Zucker in diesen Getränken enthalten ist. Gerade Getränke sind ein großes Problem. Das hören wir immer wieder von Lehrkräften. Da geht viel Zucker über den Tisch und man merkt es gar nicht.
Iris Pottek: Dies verdeutlichen wir den Kindern auch anhand von Zuckerwürfeln. Unsere Empfehlung: Statt Zucker einfach frische Früchte ins Wasserglas geben. Es ist wirklich dieses Unwissen, das wir aufarbeiten. Einen negativen Einfluss auf die Ernährung hat auch die Corona-Pandemie gehabt. Da ist so viel gefuttert worden. Am Computer, kaum körperliche Bewegung. Auch der Sport fiel weg. Bei anderen war es auch ein bisschen Frustessen. Das Übergewicht bei Kindern ist um 30 Prozent höher als sonst. Wir sind jetzt mehr denn je in den Schulen gefragt.
Julia Kaiser: Natürlich gibt es auch die Gegenbeispiele. Andere Familien haben während Corona extrem viel gekocht, als sie zu Hause waren. Das hören wir auch immer wieder.
Welche Veränderungen im Ernährungsverhalten haben Sie in den vergangenen Jahren beobachtet? Erkennen Sie einen nachhaltigen Effekt Ihrer Projekte?
Iris Pottek: Absolut. Wenn wir jetzt Schüler aus Klassen wiedertreffen, in denen wir im letzten oder vorletzten Jahr waren, sehen wir, dass sie das Vermittelte angenommen haben. Auch die Schulen selbst bauen den Unterricht um das Thema Ernährung herum. Das freut uns sehr. Manchmal treffe ich auch Schüler, die ich vor Jahren begleitet habe und die das damals Gelernte für ihren Beruf nutzen konnten. Das ist schön zu sehen und bestätigt uns, dass wir etwas richtig machen.
Viel Spaß haben die Drittklässler der Grundschule Hasenburger Berg beim gemeinsamen Kochen. Die Lüneburger Schule ist eine von vielen Bildungseinrichtungen, in denen die „gelbentomaten“ zu Gast sind.