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Lebensmittelretter

von Ute Lühr
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Es gibt Karten, die in ihrer Farbgebung denen ähneln, die derzeit die Welt belasten – nur, dass sie sich einer anderen Art globaler Probleme widmen als die der Pandemie: Schwarz signalisiert dabei genauso das eine Extrem, wie Hellgelb das andere, und die Verteilung wird auf den ersten Blick ganz klar: Je wohlhabender ein Staat ist, desto mehr Nahrungsmittel werden verschwendet, weltweit etwa 1,3 Milliarden Tonnen pro Jahr. Auch Deutschland schafft es unter die Top Ten. Eine unrühmliche Platzierung, wie auch Pia Redenius und Jonas Korn finden.

Foodsharing

Die beiden ehemaligen Studierenden der Nachhaltigkeitswissenschaft sind zwei von mittlerweile rund 100 Menschen, die sich in Lüneburg aktiv und regelmäßig der Rettung und Verteilung von Lebensmitteln verschrieben haben. Foodsharing heißt die internationale Initiative, der sie sich angeschlossen haben, Fairteiler die offen zugänglichen Orte, mit Hilfe derer sie eins ihrer Etappenziele erreichen wollen.
Dort, so Pia Redenius, können von allen Bürgerinnen und Bürgern all jene Naturalien hinterlegt werden, die sie selbst nicht mehr konsumieren: Brot oder Gemüse, Obst und Milch – die Vielfalt ist bunt, das Angebot meist umfangreich, doch gibt es einige Ausnahmen: „Lebensmittel nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums sind erlaubt, solche mit abgelaufenem Verbrauchsdatum hingegen nicht“, sagt die 25-Jährige. Ebenso dürfen Alkohol, Energydrinks, Hackfleisch, roher Fisch, selbst gesammelte Pilze sowie Rohmilch- und Roheiprodukte nicht hinterlegt werden. 

Foto: tonwert21.de

Ein verantwortungsvoller Umgang mit den Lebensmitteln und auch mit unseren Mitmenschen ist uns dabei wichtig.
Jonas Korn über Foodsharing

Was der eine nicht mehr benötigt, ist für den anderen vielleicht von Wert: In der Regel zwischen 7 und 22 Uhr sind die Türen der Fairteiler geöffnet, Interessenten können sich nehmen, was ihnen beliebt – das Angebot kommt an: „Es ist eine große Vielfalt an Menschen, die sich hier bedient“, sagt die Nachhaltigkeitswissenschaftlerin, „seien es Rentner oder Angestellte, Erwerbslose oder Studierende, Leute, die gezielt oder Leute, die eben eher zufällig vorbeikommen. Das Prinzip hat Erfolg.“ Denn es gibt viele Gründe für einen Besuch: „Sinn für das Klima, weniger Ausgaben, der Wunsch, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren.“ Oder auch alles zusammen.

Viele Gründe für Fairteiler

Fünf Fairteiler gibt es mittlerweile im Lüneburger Stadtgebiet, meist angeschlossen an eine Kirchengemeinde: Einer ist hinter einer grünen Tür in der Ritterstraße 3, einer in einer kleinen Holzhütte an der Friedenstraße 8, jeweils ein weiterer am Paul-Gerhardt-Haus, an der St. Thomas Gemeinde sowie an der Friedenskirche am Bockelsberg – dieser ist auch gleichzeitig ein Tauschraum für andere Gegenstände. Jüngst hat auch Adendorf einen eigenen bekommen: Er befindet sich an der Emmaus-Kirchengemeinde direkt am Kirchweg.
Die Fairteiler bilden die Infrastruktur, die von allen genutzt werden kann: So wird hier unter anderem auch selbstgeerntetes Obst aus dem Garten anderen Menschen zugänglich gemacht.

Supermärkte sind Kooperationspartner

 Ein großer Anteil der Lebensmittel in den Fairteilern stammt aber von den rund 20 aktiven Kooperationen, bei denen die Foodsaver – die registrierten Mitglieder der Foodsharing-Initiative oft mehrmals in der Woche Ware abholen. „Meist sind das Supermärkte, von denen wir dann zu abgestimmten Zeiten all jene Lebensmittel sammeln, die dort nicht mehr zu verkaufen sind, sei es, weil in der Regel das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen, das Brot am Abend nicht mehr ganz so frisch oder die Ware unansehnlich ist.“
Edeka Bergmann in Lüneburg oder Edeka Jens Jänecke in Adendorf sind solche Supermärkte. „Wir leben unsere Verantwortung in der Gesellschaft und lieben Lebensmittel. Dann müssen wir auch in jeder Situation das Beste daraus machen, sagt Geschäftsleiter Marcel Thamke vom Adendorfer Fachgeschäft. „Durch die Kooperation mit der Tafel und auch mit Foodsharing können wir einerseits den hohen Ansprüchen unserer Gäste genügen und immer qualitativ hochwertige Ware anbieten, gleichzeitig aber eben auch mit den Resten ethisch und moralisch verantwortungsvoll umgehen.“

Keine Konkurrenz zur Tafel

Der Tafel wollen die Foodsaver dabei aber keine Konkurrenz machen. Jonas Korn sagt: „Diese hat ja einen wichtigen sozialen Auftrag, und dem wird sie auch gerecht.“ Allerdings besteht zwischen den beiden Initiativen eine Kooperation: „Wenn dort etwas nicht weitergegeben wird, holen wir es auch mal ab und bringen es in unsere Fairteiler.“
Ohne viele helfende Hände ist das aber nicht möglich. Deshalb suchen die Foodsaver auch stets nach weiteren Akteuren: „Mitmachen können alle“, sagt der Nachhaltigkeitswissenschaftler, „indem sie die Fairteiler einfach nutzen und sauber halten.“ Für alles weitere muss ein persönliches Konto erstellt werden. 

Unser finales Ziel ist es, uns selbst abzuschaffen.
Pia Redenius über einen angestrebten Kulturwandel

Wer sich unter foodsharing.de registriert, kann bereits eine Funktion der Webseite in Anspruch nehmen und einen sogenannten Essenskorb erstellen. „Da können überschüssige Lebensmittel angeboten und von anderen abgeholt werden“, sagt er. Wer sich dann noch intensiver mit den Richtlinien auseinandersetzt und andere Foodsaver für einen gewissen Zeitraum begleitet, kann sich dann auch als ein solcher engagieren.

Foodsaver werden

„Ein verantwortungsvoller Umgang mit den Lebensmitteln und auch mit unseren Mitmenschen ist uns dabei wichtig“, sagt der 28-Jährige. „Gib nichts an andere weiter, was Du selbst nicht mehr essen würdest“, „sei gewissenhaft und zuverlässig“ und „mach Vorschläge, damit wir uns weiterentwickeln können“. Denn letztlich will die Initiative einen Kulturwandel erreichen, und dafür trägt auch Pia Redenius Sorge: Sie ist in der Bildungsarbeit aktiv, gibt Seminare, schult Multiplikatoren: „Unser finales Ziel ist es, uns selbst abzuschaffen“, sagt sie schmunzelnd – aber bestimmt. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg.

Wertschätzung von Lebensmitteln erreichen

Gerade in Deutschland seien Lebensmittel sehr günstig, das erhöhe die Kaufbereitschaft, basiere aber oft auch auf ökologisch und sozial problematischen Bedingungen. „Wir brauchen einfach strukturelle und damit auch politische Maßnahmen, um Wertschätzung von Lebensmitteln zu erreichen“, sagt sie. Die Ansprüche des Handels müssten sich ändern, damit auch die Produktion. Dies ist wichtig denn „gerade hochverarbeitete Lebensmittel haben durch Verarbeitung, Transport und Lagerung einen immensen CO2-Fußabdruck. Somit ist Lebensmittelrettung auch Klimaschutz.“

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