Schon vor Beginn meines Weinwirtschaftsstudiums habe ich hier und da Wermut probiert. Sein herzhaft-würziger und intensiver Geschmack gefiel mir sofort. Dennoch beschäftigte mich das Thema nicht weiter – bis ich vor einiger Zeit anfing, mit sommerlichen Cocktails zu experimentieren. Da geht nix ohne Wermut!
Wie so oft tauchten gleich Fragen auf: Woraus besteht dieses Getränk? Wie wird es erzeugt? Was macht die Geschmacksunterschiede aus? Um meinen Wissensdurst zu stillen, suche ich den Kontakt zu einem Experten: Hannes Rippka, der als gelernter Hotelmeister schon in vielen renommierten Bars gearbeitet hat, lässt mich an seiner Begeisterung teilhaben.
Wermuth als Heilmittel
Zunächst frage ich ihn nach dem Herstellungsprozess. „Wermut besteht zu etwa drei Vierteln aus Wein”, beginnt Hannes Rippka. „In den allermeisten Fällen wird dafür Weißwein verwendet, selbst bei roséfarbenem oder rotem Wermut.” Um den gewünschten Alkoholgehalt von knapp 15 bis 22 Prozent zu erreichen, werde dieser Grundwein hochprozentig aufgespritet. Am wichtigsten sei dann das namensgebende Kraut: „Während der Mazeration werden im neutralen Alkohol, oder in seltenen Fällen im Grundwein, Wermutkraut und andere Gewürze aufgeweicht, um die ätherischen Öle zu lösen. Daher erhält der Wermut seinen charakteristischen Geschmack und auch seine nachgesagte Wirkung.” Bereits in der Antike als Heilmittel eingesetzt, werde auch heute noch davon ausgegangen, dass Wermutkraut wegen seiner Bitterstoffe den Appetit anrege und Verdauungsbeschwerden lindere. „Um Gedächtnisschwäche vorzubeugen, soll schon Hippokrates regelmäßig Wermut getrunken haben”, berichtet der Hotelmeister. „Aber kommen wir zurück zur Herstellung: Im letzten Schritt wird das Produkt je nach Bedarf gesüßt.” Aha. Also daher „Vermouth dry”.

Inzwischen finde ich mich immer öfter in der Welt der Spirituosen wieder. So auch in diesem Monat… Foto: nh/tonwert21.de
Verschiedene Botanicals
Für Rippka selbst steht jedoch etwas anderes im Vordergrund: „Für mich zählt viel mehr, welches Gefühl der Wermut transportiert. Der Einsatz verschiedenster Botanicals neben dem Wermutkraut und der Grad der Süßung lassen dafür viel Spielraum. Außerdem gibt es das Getränk schon seit 1773 – dass gerade jetzt eine neue Welle der Nachfrage aufkommt und so viele verschiedene Produkte auf dem Markt sind, ist doch erstaunlich.” Tatsächlich: seit Mitte der 2000er-Jahre sind mehr als 100 neue Produkte erhältlich. Wow.
Del Professore
Besonders spannend findet er den „Del Professore” aus Italien. Da mir die Übersetzung des Namens noch gerade so im Kopf gelingt, hake ich nach; Dahinter muss doch eine Geschichte stecken! „Du hast Recht, der Name kommt nicht von ungefähr. Er spielt auf den legendären Bartender Jerry Thomas an, der 1862 seine Barrezepte niederschrieb, um sie mit der Welt zu teilen. So verdiente er sich den Spitznamen ,der Professor‘. Der „Vermouth del Professore” soll an ihn erinnern. Der Grundwein und die verwendeten Kräuter stammen allesamt aus dem Piemont, das Produkt repräsentiert also seine Herkunftsregion sehr gut.”
Rezepte an die Zeit anpassen
Ob Jerry Thomas den „Del Professore” auch für seine Drinks benutzt hätte? „Wer weiß. Damals trank man noch deutlich kräftigere Cocktails. Seine Rezepte sind also nicht mehr alle aktuell, doch passt man sie ein bisschen an unsere Zeit an, hat man einen tollen Fundus, um Gästen etwas Besonderes zu servieren.”
Apropos Servieren: Gibt’s da auch noch Tipps vom Profi? „Persönlich trinke ich gerne spritzigen Wermut-Tonic – dafür muss man nur 4 cl Wermut in ein Glas mit Eiswürfeln füllen, mit Tonic Water aufgießen und vielleicht mit etwas Zitronenzeste garnieren”, erklärt Rippka (klasse, das klingt echt einfach nachzumachen). Einen milden Wermut könne man natürlich auch wunderbar pur auf Eis genießen.
„Wer es richtig klassisch mag, für den habe ich ein Originalrezept aus dem Waldorf Astoria Hotel in New York: Der Roof Garden Cooler stammt von 1893, schon damals wurde er (wie der Name schon sagt) als Erfrischung auf den Dächern New York Citys genossen.”
Und so geht’s:
Eiswürfel5 cl Vermouth Del Professore
3 cl Limettensaft
1 cl Zuckersirup
ein winziger Spritzer Angostura Bitter (auch Cocktailbitter genannt)
Ginger Ale
Orangenscheibe
Die Zutaten werden in einem mit Eiswürfeln gefüllten Longdrink-Glas kalt gerührt und anschließend mit Ginger Ale aufgefüllt. Danach erneut kurz vorsichtig umrühren und mit einer Orangenscheibe garnieren.
Mit einem kühlen Wermut – ob „einfach so” oder im gemixten Drink – kann man den Tag prima hinter sich lassen, meint der Fachmann. Da kann ich ihm nun wirklich nicht widersprechen!