Wenn die sieben Hühner ein Ei in der Woche legen, ist das ein Grund zum Feiern. Ein Ei in Summe, versteht sich. „Das ist eben momentan so“, sagt Haiko Rupp und lacht, „die sind in der Mauser, und dann ist der Output einfach mal gering.“ Das eine Ei reicht für den Kuchenteig, den gibt’s Samstag zur Kaffeepause – nett, aber nicht notwendig, denn auch ohne lässt es sich gut leben. Auf dem idyllischen Resthof in Rehlingen allemal.
Seit vier Jahren sind Haiko und Ingrid Rupp im Besitz des großzügigen Anwesens im Naturpark Lüneburger Heide, haben sich hier einen lang gehegten Traum verwirklicht: die Schaffung von Lebensräumen für eine hohe Artenvielfalt – tierischer und pflanzlicher Natur gleichermaßen. Hier wächst, was wachsen will und lebt, was hingehört, seien es Brennnesseln oder Paprika, Heidschnucken oder Honigbienen oder alte, regionale Obstsorten.
Biologische Vielfalt
Die haben es Ingrid Rupp besonders angetan – kein Wunder, ist sie doch ausgebildete Streuobstpädagogin: „Ich komme gebürtig aus Estland“, sagt die 44-Jährige, „dort war Subsistenzwirtschaft, also Selbstversorgung, zu meiner Kindheit weitverbreitet. Meine Eltern bewirtschafteten die hauseigenen Acker- und Gartenflächen in biologischer Vielfalt und in nachhaltiger Form. Dadurch wurde ein Großteil der Ernährung der Familie gesichert.“ Und Wissen und Fertigkeiten an den Nachwuchs weitergegeben.
Das kommt der Mutter eines Sohnes heute zugute, vieles kann sie in der Praxis anwenden, einiges durch Literatur noch ergänzen: „Ich finde es einfach enorm wichtig, in dieser Zeit, in der sich immer mehr Menschen durch die moderne Zivilisation von der Natur viel zu sehr entfremden, herkömmliche Lebensräume und Kulturformen wieder in das Bewusstsein zu rücken.“ Die Anpflanzung einer Streuobstwiese sei da ein erster Schritt.

Die Menschen müssen einfach wieder einen Einblick in die Natur bekommen, damit sie deren Kreislauf auch verstehen. Denn nur der, der versteht, kann auch schützen.Ingrid Rupp
Gut 1,8 Hektar umfasst das Anwesen der Rupps in Rehlingen – Platz genug, um einen Teil der Fläche dem traditionellen Obstanbau zu widmen: Vereinzelt stehen die hochstämmigen Bäume hier, haben alle genügend Platz und Licht und tragen die unterschiedlichsten Sorten: „Das ist eben das Merkmal der alten Kultur“, erklärt die Expertin, „zum einen beginnen die Kronen erst auf einer Höhe von etwa 180 Zentimetern, zum anderen haben wir eine große Vielfalt auf der Wiese – und Pflanzen, mit denen wir Lebensräume für Generationen schaffen.“
Intensive Pflege und Aufzucht
Denn im Gegensatz zu den modernen Monokulturen mit ihren niederstämmigen und kurzlebigen Obstbäumen setzt das Ehepaar auf Beständigkeit. Ein voller Ertrag sei daher auch erst nach etwa zehn Jahren zu erwarten, Pflege und Aufzucht bis dahin aber intensiv. Und die beginnt bereits im März. „Dann nämlich“, sagt Ingrid Rupp, „wenn noch alles still und ruhig ist, müssen die ersten Knospenansätze abgeknipst werden.“ Das erzieht den Baum, gibt ihm in den ersten Jahren die notwendige Kraft: Denn am Ende soll er mit einer prachtvollen kelchförmigen Krone stehen.
Hof der Lebensräume
Das Reisig wird getrocknet und heizt später den Ofen an. Oder es wird zu einer Hecke zusammengesteckt und als Windschutz genutzt. Ein Teil bleibt auch einfach liegen und dient als Unterschlupf – für Kröten, Frösche, Siebenschläfer oder Mäuse: Auf dem Hof der Lebensräume haben alle ein Zuhause. Auch die zahlreichen Schmetterlinge.
Einige ihrer Arten legen ihre Eier ausschließlich an der Unterseite der Brennnessel ab, geben damit ihrem Nachwuchs eine Lebensgrundlage, auf die dieser angewiesen ist. „Deshalb ist es so enorm wichtig, dass alles, was wächst, seinen Raum bekommt“, erläutert die gebürtige Estin, „alles hat seinen Platz, alles seine Berechtigung, alles ist von allem abhängig. Und definitiv kein Unkraut.“

Selbstversorgung kein Problem
Dieses Prinzip prägt auch den Gemüsegarten: Derzeit gedeihen Paprika, Mangold, die letzten Tomaten und jede Menge Zucchini. Und auch der Rosenkohl ist kurz vor der Ernte. Seine Blätter weisen unzählige kleine Löcher auf, stehen auf dem Speiseplan der Raupen des Kohlweißlings. Haiko Rupp stört das wenig: „Das Gemüse wächst trotzdem, der Ertrag reicht. Darum geht es bei der Selbstversorgung.“
Und die wird bei den Rupps fast bis zum Optimum gelebt. „Es gibt nur wenige Nahrungsmittel, die wir regelmäßig kaufen“, sagt der gebürtige Schwabe, „denn eigentlich haben wir fast alles auf unserem Hof.“ Gemüse und Obst gibt es nach Saison und Verfügbarkeit, Eier nach Launen und Lebensrhythmus des Federviehs, Fleisch nach Bedarf – denn auch darauf müssen die Rupps nicht verzichten.
Heidschnuckenherde in guten Händen
Hinten auf der Wiese, am Fuße der hochstämmigen Bäume, lebt eine kleine Heidschnuckenherde. Sie beweidet das Areal, dient gleichzeitig als Lieferant des hochwertigen Eiweißes – und befindet sich zu Lebzeiten in guten Händen: „Die Tiere haben hier alles, was sie brauchen“, sagt der 56-Jährige, „sie sind für diese trockenen Böden geschaffen und benötigen kein zusätzliches Futter.“ Und das Gras keinen Rasenmäher. Wenn eine Schnucke geschlachtet wird, kommt das Fleisch in die Tiefkühltruhe. Das reicht, so lange es reicht.
„Das ist eben unser Ansinnen“, sagt Haiko Rupp, „und das Prinzip der Selbstversorgung: Gegessen wird, was die Natur uns gibt.“ Und das ist mitunter auch recht süß: Neben den verschiedenen Obstsorten – abgesehen von Äpfeln wachsen hier auch Birnen, Kirschen oder Pflaumen – widmet sich der gebürtige Schwabe der Haltung von Honigbienen, „in wesensgerechter Form“, wie er erklärt. Zeit dazu hat der Familienvater: Nach einer geplanten Auszeit von seinem anspruchsvollen Job ist er nicht wieder in das bezahlte Berufsleben zurückgekehrt. „Eine wirklich gute Entscheidung“, wie er rückblickend noch immer feststellen kann, „ich bin mit allem im Gleichgewicht.“
Es gibt nur wenige Nahrungsmittel, die wir regelmäßig kaufen.Haiko Rupp
Seine Frau scheint diesen Zustand auch erreicht zu haben – auch wenn sie als Geschäftsbereichsleiterin eines großen Lüneburger Unternehmens Vollzeit berufstätig ist. Wenn sie Zeit hat, findet aber auch sie ihre Erfüllung bei der Arbeit zwischen Gemüse, Hühnern und Schnucken – und besonders mit den Bäumen. Deren Bedeutung als bedeutsame Kulturlandschaft möchte sie gerne weitergeben, bietet dazu Aktionen für Kindergärten, Schulen und Familien an. „Die Menschen müssen einfach wieder einen Einblick in die Natur bekommen, damit sie deren Kreislauf auch verstehen. Denn nur der, der versteht, kann auch schützen.“