Umgangssprachlich heißt es „Ausprobieren“. Als Dogma der Sozialwissenschaften nennt es sich „Versuch und Irrtum“, bekannt ist es im selben Sinne aber auch unter seiner englischen Bezeichnung „trial and error“: Harald Blanke kann ein Lied davon singen. Vor rund zehn Jahren ist der ehemalige Fernmeldetechniker in den Ruhestand gegangen, hat sich zeitgleich eine neue Herausforderung gesucht. Nach vielen Scherben hat er seine Leidenschaft mittlerweile fast bis zur Perfektion getrieben – und das freut nicht nur den Hobbykünstler.
Versuch und Irrtum
„Angefangen hat alles damit, dass ich mir überlegt habe, was ich in den dunklen Wintertagen anfangen könnte, wenn im Garten nichts zu machen ist und das Leben auch sonst eher im Haus stattfindet“, sagt der heute 68-Jährige, der ansonsten begeistert Tennis spielt und sich ebenso enthusiastisch seiner zweiten Obsession widmet: einem Volvo Amazon Jahrgang 1962. Und der brachte ihn schließlich auf eine Idee. „Ich wollte meinen Oldtimer gerne im Miniaturformat staubsicher auf meinen Schreibtisch stellen und war auf der Suche nach einer geeigneten Hülle.“ Die Lösung sprang ihm schnell ins Auge.
Zweites Leben für Glühbirnen
„Glühbirnen sind ideal“, befand der Reppenstedter damals, böten sie doch genügend Platz und eine durchsichtige Präsentationsfläche. Die musste aber erst einmal bereitet werden. „Anfangs sind mir bei dem Experiment, das Blechgewinde vom Glas zu lösen, fast alle Exemplare unter der Hand zerbrochen“, sagt Harald Blanke, „das hat sich geändert.“ Versuch und Irrtum brachte schließlich den Erfolg, rund 70 Prozent aller Birnen bleiben heute heil – und erfahren ein zweites Leben. Das kann sich sehen lassen.
Verschiedene Auftragsarbeiten
Waren es anfangs primär Miniaturmodelle bekannter Fahrzeugmarken, die ihren Weg in ein neues Zuhause fanden, sind es mittlerweile zahllose Szenen aus Beruf und Alltag, sei es aus eigener Inspiration oder als Auftragsarbeit. „Manchmal kommen Menschen auf mich zu und fragen nach einer speziellen Nachbildung, weil sie sich selbst oder anderen eine Freude machen wollen.“ Dann wandert der winzige Golfspieler in das Glas, wird der Jäger mit Trophäe verewigt oder der Angler mit dem Fisch am Haken. Manchmal sind es aber auch die kleinen Herausforderungen, denen sich der Hobbykünstler stellt – wie das Schiff, das einen neuen Hafen suchte: „Das war aus einem Überraschungsei und dann trotzdem noch so groß, dass ich es erst in der Glühbirne mit der Pinzette zusammenbauen konnte.“
Fingerspitzengefühl erforderlich
Doch auch wenn die spätere Detailarbeit meist unterschiedlich ist – die anfänglichen Schritte sind immer dieselben: „Zunächst löse ich unter Einsatz bestimmter Hilfsmittel das Gewinde vom Kolben, dann fülle ich bunten Blumensand, den ich zuvor mit einem von mir entwickelten speziellen Bindemittel vermischt habe, ein. Das muss dann erstmal eine ganze Weile trocknen“, erklärt Harald Blanke. Später dann werden Fahrzeuge oder Figuren – ebenfalls mit einem Kleber bestrichen – aufgebracht, weitere Accessoires zugefügt. „Drei bis vier Stunden dauert es bis zur Vollendung.“
Die steht dann in einer Vitrine in Reppenstedt, wird vom Auftraggeber abgeholt oder aber auf Ausstellungen präsentiert: „Das sind immer die Höhepunkte im Jahr“, sagt der 68-Jährige, „wenn ich mit meinen Glühbirnen unterwegs bin.“ Früher habe es auch im Landkreis Lüneburg noch reizvolle Kunsthandwerkermärkte gegeben – mittlerweile fährt er meist nach Hamburg. Drei- bis viermal im Jahr stellt er dort an verschiedenen Stellen aus und verkauft seine Produkte. „So eine Veranstaltung ist immer besonders anregend“, sagt der pensionierte Fernmeldetechniker, „da kommt man so wunderbar mit anderen Menschen ins Gespräch, kann sich Anregungen holen, aber auch gute Kontakte knüpfen.“
Kontakte knüpfen um an Figuren und Glühbirnen zu kommen
Die sind auch für den Hobbykünstler von Bedeutung, denn Rohware und Bastelmaterial müssen beschaffen werden. „Die Figuren bekomme ich mittlerweile von einem Experten vom Ebensberg, der mir die kleinen Charaktere je nach Bedarf gestaltet und bemalt“, sagt der Reppenstedter, der auch für seine Glühbirnen einen Lieferanten hatte: „Irgendwann hatten Freunde und Bekannte keine alten Lampen mehr, die sie mir zur Verfügung stellen konnten, denn so schnell muss man die ja auch nicht ersetzen.“ Da kam ihm die Bekanntschaft eines Hausmeisters aus Adendorf zu Hilfe. „Corona hat aber auch in dieser Hinsicht zu Lieferengpässen geführt“, meint Harald Blanke lachend, „ich musste mich umorientieren.“
Egal, ob Hochzeitsgeschenk oder Geldgeschenk
Seitdem sieht man ihn im Supermarkt über den Sammeltonnen für alte Leuchtmittel stöbern – und meist mit dem einen oder anderen Fundstück von dannen ziehen. Ein zweites Leben ist der künstlichen Lichtquelle dann gegönnt – sollte sie zu den 70 Prozent der glücklichen Kolleginnen gehören, die den ersten Arbeitsschritt überstehen. Und dann könnte sie auch Basis für einen Spezialauftrag sein: „Letztens hat mich jemand angesprochen, der ein Hochzeitsgeschenk für einen Elektriker und eine Schneiderin suchte“, erzählt Harald Blanke. Was bot sich da Besseres an als eine Glühbirne? Nähnadel und Garn in Miniaturformat fand er in einem Laden und dekorierte es unter Glas. Das kam an. Doch nicht immer müssen es kleine Kunstwerke sein, die gefragt sind: „Mitunter biete ich die Hüllen auch als Verpackung für Geldgeschenke an“, erklärt der Reppenstedter, „das nenne ich dann Upcycling.“