Das Alter ändert sich jeden Tag und mit ihm auch die Perspektive: Mittagsschlaf, Gemüse, Gartenarbeit oder Orchideen – was aus Jugendaugen so gar nicht geht, entwickelt im Laufe der Zeit einen gewissen Reiz, mutiert vom notwendigen Übel zu hoch geschätzter Leidenschaft. Das Mofa macht da keine Ausnahme. Landauf, landab finden immer mehr Menschen wieder Gefallen an der eigentlich schon begrabenen Art der zweirädrigen Fortbewegung, gründen Clubs und gehen auf Reisen. Auch in Deutsch Evern.
Die Mofa-Kultur lebt wieder auf
Etwa 25 Zweitaktfreunde haben sich dort mittlerweile zusammengeschlossen, treffen sich in unregelmäßigen Abständen zu Ausfahrten, Bierabenden oder Sozialeinsätzen. Engagement für das Dorf und seine Nachbargemeinden – das haben sich Etienne Hein und Helge Schneider, treibende Kräfte von „Alarm für Mofa 11“, neben dem grundsätzlich geselligen Aspekt auf die Fahnen geschrieben. Und diesem Anspruch werden sie auch gerecht. „Wir wollen einfach dieses Image vom Luft verpestenden Rocker loswerden, was heute noch immer viele mit dem Mofafahren verbinden“, sagt Etienne Hein.
Neu entdeckte Liebe leben
Deshalb nehmen sie im Kollektiv am örtlichen Blutspendedienst teil, haben sich gemeinsam bei der Deutschen Knochenmarkspenderdatei registrieren lassen, engagierte Bürger beim Bau eines Insektenhotels unterstützt und dem Pastor Hilfe bei der Gartenarbeit angeboten. Zudem – das ist noch in Planung – soll das Dorffest wiederbelebt werden. Für viele ist das auch ein Stück weit Erinnerung, stammen die meisten Clubmitglieder doch aus Deutsch Evern. Es sind Kumpels aus alten Jugendzeiten, Bekannte vom Schützenfest oder Freunde von Skatabenden, die sich hier zusammengefunden haben, um ihre neu entdeckte Liebe zu leben.
Aus ein mach drei
Denn das Mofa, das ist heute ein Lifestyle-Trend, klein und günstig in Anschaffung und Verbrauch – wenn es denn erhältlich ist. Helge Scheider, der mit gebürtigem Namen eigentlich Andre heißt, kann ein Lied davon singen: Gut 800 Kilometer ist er 2018 gefahren, um sich an der deutsch-niederländischen Grenze in Kleve einen Zweitakter zu kaufen. Mit drei Exemplaren kam er zurück. „Das war ein unglaublich gutes Angebot“, sagt er rückblickend, „dem ich nicht widerstehen konnte.“ Exakt 500 Euro hat er damals für die Mofas gezahlt, „heute wäre es locker das Dreifache.“

Schrauben gehört dazu
Die Nachfrage bestimmt den Preis, das Angebot ist beschränkt – und wenn ein Exemplar auf dem Markt ist, wird zugeschlagen. So wie neulich, als ein altes Gerät in einem Schuppen in Südergellersen aufgetaucht ist. Etienne Hein ließ sich nicht lange bitten: „Der Eigentümer kannte uns und hat uns angesprochen. Ich habe das Mofa sofort rangeholt.“ Fahrtüchtig war es nicht – für die Jungs aber auch kein Thema, denn Schrauben, das gehört zum Hobby mittlerweile unbedingt dazu: „Der Bau dieser Zweitakter wurde bereits 1995 weitestgehend eingestellt, unsere Fahrzeuge sind teilweise bis zu 56 Jahre jung, da bleiben Reparaturarbeiten gar nicht aus“, sagt der 37-Jährige. Wie ideal, dass viele der Clubmitglieder Handwerker sind und ihre Leidenschaft mittlerweile recht unkompliziert leben können. Denn waren Ersatzteile früher schwer zu bekommen, Werkstätten doch eher rar, haben gerade die sozialen Netzwerke heute schnelle Lösungen im Angebot.
Jeder tut was er kann
Do it yourself hat Konjunktur – der Mofa-Kult passt voll ins Bild. Helge Schneider sagt: „Da gibt es solche, die stecken enorm viel Geld, Zeit und Liebe in ihre Schätze und haben am Ende ein fast neues Fahrzeug in der Garage. Da gibt es aber auch welche, die Kratzer Kratzer sein lassen und die Patina schätzen. Beides hat seine Berechtigung.“ Und da gibt es letztlich jene, die mit zwei linken Händen auf die Welt kamen, „und denen greifen wir unter die Arme. Schließlich hat jeder Stärken und Schwächen – und die organisieren dann Feste oder Fahrten“.
Auf der Suche nach Entschleunigung
Fahrten. Die sind ein elementarer Bestandteil der Vereinigung, denn letztlich geht es ja um Mobilität. Und um eine ganz besondere. „Früher, da hat man das Mofa genutzt, weil es die erste motorisierte Möglichkeit für Jugendliche war“, erklären die beiden, „doch jetzt hat es einen ganz anderen Stellenwert für uns bekommen.“ Der Weg ist das Ziel – und der ist entspannt: „Entschleunigung, das ist das, was wir heute suchen“, sagen die Jungs. Und finden. Nachdem einer ihrer Kumpels von Deutsch Evern der menschlichen Liebe wegen nach Freiburg an der Elbe umgezogen ist, dort noch vier Mitstreiter für seine sächliche Leidenschaft rekrutieren konnte, hat „Alarm für Mofa 11“ eine Außenstelle im hohen Norden.
Außenstelle: Freiburg an der Elbe
Etienne Hein erzählt: „Wir haben 2019 unsere Mofas eingeladen und sind hoch an die Küste gereist, um dann von dort aus wieder zurückzufahren.“ Eineinhalb Tage hat die Tour gedauert – mit Zwischenstopp in Hamburg und Besuch der Reeperbahn – denn mehr als 25 Kilometer in der Stunde fahren die Zweitakter nicht. Außer bergab. Sollen sie aber auch nicht. „Denn letztlich geht es ja um die Entspannung, Zeit spielt keine Rolle.“ Im Gegensatz zum sozialen Aspekt.
Gemeinsames Hobby verbindet
Mofa fahren – das verbindet, sagen die beiden Deutsch Everner, auch international: „Wir haben engen Kontakt zu Clubs in der Region, wie den Herculetten aus Wendisch Evern oder den Zweitaktfreunden aus Südergellersen, aber auch lockere Beziehungen zu Dänen oder Holländern, bei denen das Hobby auch immer mehr Anhänger gewinnt.“ Man trifft sich zufällig oder bewusst – wie letztens mit den Jungs aus dem Nachbarort zu einer gemeinsamen Ausfahrt nach Lüneburg: „Da waren wir mit 40 Leuten unterwegs, sind quer durch die Stadt gefahren. Das war dann doch etwas viel und eng, hat aber enorme Aufmerksamkeit erregt.“
Wir wollen einfach dieses Image vom Luft verpestenden Rocker loswerden, was heute noch immer viele mit dem Mofafahren verbinden.Etienne Hein,
Freund des Mofa-Kults
Aufmerksamkeit bekommen die Mofafahrer aber auch von anderer Seite, wie Helge Schneider sagt: „Als wir im Sommer 2019 unsere erste große Ausfahrt auf Fehmarn gemacht haben, wurden wir von vielen zunächst kritisch beäugt, hielten sie uns aufgrund unseres Auftretens mit Sonnenbrille und Kutte doch für Anhänger der Rockerszene.“ Wer dann aber das Patch auf dem Rücken sah, sei positiv überrascht gewesen und kam schnell ins Gespräch.
Chancen stehen gut, bisher noch niemanden abgelehnt
Das Patch, das gehört dazu – wie Kutte oder Fuchsschwanz auch – und symbolisiert die Zugehörigkeit zur Gruppe. „Tragen darf es aber nur derjenige, der zu uns passt“, sagt der 45-Jährige, und das wird getestet: Einen Monat lang trägt der Anwärter den Prospekt eines Discounters auf dem Rücken, wird dann aufgenommen oder nicht. „Bislang haben wir aber noch keinen abgelehnt“, sagt Helge Schneider amüsiert.