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Finde ich das gut?

von Cécile Amend
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Brauche ich das wirklich? Eine viel gestellte Frage, die wir uns wohl viel zu oft falsch beantworten. Locken Internet- Hypes oder Influencer:innen mit besserer Optik, weniger Wehwehchen und längerem Leben, vergessen wir gerne mal unsere Nachhaltigkeitsvorsätze. Hula-Hoop-Reifen für eine straffere Taille? Her damit! Balance Boards für das Training des Gleichgewichts? Kann nie schaden. Ein Schwingstab zum Training der Tiefenmuskulatur? Warum nicht? Nach einigen Wochen, bestenfalls Monaten täglicher Nutzung landen die Geräte dann meist im Keller, verschwinden auf den Dachboden.

Die Bibliothek der Dinge

Hier ein „Merken“ zu setzen, ist Anliegen der „Bibliothek der Dinge“ der Lüneburger Ratsbücherei. Dort werden seit knapp zwei Jahren neben Büchern, DVDs und Bildern auch besondere Gebrauchsgegenstände, Geräte und Actionspiele ausgeliehen. „Es geht darum, nicht alles gleich zu kaufen, sondern erst einmal auszuprobieren: Finde ich das gut?“, sagt Antje Bechly, Leiterin der Kinder- und Jugendbücherei, „und wir haben auch viele Geräte im Verleih, die man vielleicht nur ein einziges Mal braucht wie beispielsweise unsere Wildkamera oder den Digitalisierer für Musikkassetten.“

Konzept „leihen statt kaufen“

Auf den Weg brachte die „Bibliothek der Dinge“ das Projekt „Bibliothek 2030“ der Leuphana Universität, in dem Studenten ausloteten, ob sich für die Ratsbücherei ein Spielzeugverleih lohnen würde. Das Ergebnis: Nein, zu aufwendig. Aber das Konzept „Sharing Economy“, die Basis der Bibliotheken, „leihen statt kaufen“, auf mehr als Bücher zu erweitern, stand im Raum, nicht zuletzt, um ein allen Altersklassen offenes niederschwelliges Angebot zu schaffen. „Damit auch Leuten mit kleinem Geldbeutel Teilhabe gewährt wird, der Zugang zu teuren technischen Geräten“, erklärt Bechly. Eine Idee, die wie so viele über den großen Teich gehüpft ist. 

Actionsspiele für draußen

Doch erst einmal sei kein Geld für das Vorhaben da gewesen. Beim Freundeskreis der Ratsbücherei Lüneburg wurde erfolgreich um eine Spende geworben. Das Team der Lüneburger Ratsbücherei schaute sich ähnliche Projekte in Vorreiterbibliotheken wie Georgsmarienhütte und Verden an, nahm an einer Fortbildung teil und eröffnete 2019 die eigene „Bibliothek der Dinge“. Als erstes wurden große Actionspiele für draußen angeschafft: Slackline, Wickinger Schach (Kubb), Bowle. Diverse Kameras kamen hinzu, wie eben die Wildkamera oder eine wasserfeste Action-Kamera für den nächsten Tauchurlaub. Drucker, der Fotos vom Handy im Polaroid-Format ausdruckt, selbstprogrammierbare kleine Roboter, mit denen Kinder erste einfache Programmiererfahrungen sammeln, Mini- Beamer, Tonibox oder Spielzeug für den Kindergeburtstag – hier gibt es zu entdecken, an das wir gar nicht gedacht haben. 

Drei-Wochen-Frist

Demnächst im Angebot: ein „Heimplanetarium“ und ein Teleskop. 50/60 Sachen sind im Angebot. 480 Ausleihen verbuchte die Ratsbücherei 2020, 500 waren es mit Stichtag 30. November 2021, Tendenz steigend. 22,– Euro kostet der Ratsbüchereiausweis im Jahr (für Kinder bis 18 Jahre kostenlos), mit dem auch die Bibliothek der Dinge und die Artothek genutzt werden können. Drei-Wochen-Frist gilt in der Bibliothek der Dinge, ein halbes Jahr in der Artothek. Ein Überblick über die Bibliothek der Dinge ist im Online-Katalog der Ratsbücherei gibt’s hier. Nicht alles besitzen „Die Switch ist schon wieder nicht da. Komm‘ Marie, die merken wir uns vor, dann sind wir irgendwann im Mai dran…“, frotzelt Timo Paulsen.

Nachhaltigkeit im Alltag

Freitagnachmittag ist für ihn Ratsbücherei- Nachmittag mit seiner Tochter Marie (8). Durch zurückgegebene Sachen aus der „Bibliothek der Dinge“, die ihm ins Auge springen, als er und seine Tochter in der Buchausleiheschlange stehen, werden die beiden auf das neue Angebot der Ratsbücherei aufmerksam – und sind schnell gefesselt. „Ich finde es super, nicht alles zu besitzen. Vieles ist so kurzlebig, gerade wenn man groß wird“, sagt Paulsen mit Blick auf seine Tochter. Paulsen ist um Nachhaltigkeit im Alltag bemüht. Er besitzt kein Auto, ist mit Marie per Car- Sharing zum PRISE-Termin erschienen. Die Familie fährt viel Fahrrad, nutzt keine Mülltüten. 

3 Wochen daddeln und dann ist wieder gut

Er würde seiner Tochter nie einen Roboter kaufen, den sie dann vielleicht nur ein paar Mal nutzt. So auch in Sachen Switch-Konsole von Nintendo. Zweimal haben die beiden sie sich schon ausgeliehen. Aber im Haus will Timo Paulsen die Switch nicht haben: „Ich möchte das nicht unterstützen, dass man immer so ein Ding da hat“, sagt der Vater, „so haben wir drei Wochen lang Suchtcharakter, daddeln richtig viel, aber wenn man das Ding dann wieder abgegeben hat, ist es auch wieder gut.“ Spannend war auch die Ausleihe der Wildkamera. Die Installation im Garten allerdings ergab: Nichts, neben den schon bekannten Igeln ließen sich keine weiteren Tiere entdecken. Als nächstes plant Paulsen, seine alten Kassetten zu digitalisieren, auch hierfür gibt es ein Gerät in der Bibliothek der Dinge. Übrigens: Von den Sachen, die sich Timo und Marie Paulsen bislang ausgeliehen haben, haben sie tatsächlich bis heute keine selbst gekauft. 

Artothek der Lüneburger Ratsbücherei

Jan Balyon, drei Monate Swantje Crone, dann vielleicht einen Horst Janssen – oder alle auf einmal. Wer sich Werke seiner Lieblingskünstler nicht leisten kann, ist in der Artothek der Lüneburger Ratsbücherei richtig, die 1999 in Kooperation mit der Sparkassenstiftung Lüneburg eingerichtet wurde. Diese stellt jährlich einen Etat, um neue Kunstwerke anzuschaffen. „Das ist ein tolles Angebot, um neue Künstler zu entdecken“, sagt Joachim Foss. 2017 gründete der Feldenkraislehrer und Bewegungstherapeut im Lüneburger Schröderhof eine Gemeinschaftspraxis. Und seine Kollegen und er suchten nach Farbklecksen, um die neuen Räume zu beleben. Da kam Foss, über Jahre treuer Nutzer der Ratsbücherei, die Idee mit der Artothek. 

Immer wieder neue Bilder

Prompt wurden die ersten Gemälde entliehen – mit klassischen Lüneburgmotiven. Mit der Zeit wurde das Praxisteam dann wagemutiger. Geliehen wurde querbeet, Bilder, die farblich passten, Bilder, die vom Sujet gefielen, von stadt-, aber auch unbekannten Künstlern. Die Artothek biete gegenüber der Anschaffung eigener Kunstwerke einen entscheidenden Vorteil, so Foss: „Mit neuen Bildern bringen wir auch immer wieder frischen Wind in die Praxisräume. Und das nicht nur optisch: Die Werke stimulieren die Arbeitsatmosphäre, schaffen buchstäblich neue Perspektiven und sorgen immer wieder für neuen Gesprächsstoff untereinander – und mit unseren Patienten und Klienten.“ 

Recherche über Künstler

Und wenn Joachim Foss ein Bild besonders berührt, begibt er sich auf Recherche, schaut, was hat der Künstler sonst noch so gemacht, und findet so ständig neue Inspirationen. In der Artothek können 330 Werke namhafter und junger Künstler für die eigenen vier Wände entliehen werden – Lithografien, Siebdrucke, limitierte Drucke, Radierungen sowie Strichätzungen, Skulpturen, Collagen, Linol- und Holzschnitte zum Beispiel von A. Paul Weber über Joseph Beuys bis hin zum handsignierten Horst Janssen.

 

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