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Ausgespielt

von Cécile Amend
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Es ist ein fataler Tag, als sein Kollege bei einem Lüneburger Autozulieferer Kurt M. die bwin-Sportwettenapp auf seinem Handy zeigt. Mit ihr können die Anwender täglich zwischen zigtausenden Sportwetten aus mehr als 90 Sportarten wählen – darunter Fußball und die Europameisterschaft. Kurt M., ein sportlicher 49-Jähriger, der selbst jahrelang Fußball gespielt hat, wird neugierig. Er hatte schon manches Mal Werbung des Sportwettenanbieters im Fernsehen gesehen. „Du bist doch Fußballer, damit kennst Du Dich doch aus“, denkt er sich. Und es dauert nicht lange, bis er seine ersten zehn Euro setzt.

Mit Schuldgefühlen und einem schlechten Gewissen

Zwei Jahre später ist Kurt M. nicht mehr er selbst. Er wacht mit Schuldgefühlen auf, verbringt seine Tage grübelnd und geht mit einem schlechten Gewissen ins Bett, wo er nicht in den Schlaf findet. Er schämt sich vor seiner Frau und seinen Kindern, vor denen er sein Spielen verheimlicht. Bis die seelische Last eines Tages unerträglich wird. Kurt M. hält es nicht mehr aus, vereinbart einen Termin bei der Lüneburger Fachstelle für Sucht und Suchtprävention Drobs. „Um diesen Druck aus meinem Kopf zu kriegen, um endlich wieder ein befreiter Mann zu sein“, sagt der ehemalige Spieler rückblickend. Die Beratung wirkt. Heute ist Kurt M. clean. „Und mein Leben ist um so vieles einfacher.“

Hoffen auf den großen Gewinn

Kurt M. ist nicht allein. In Deutschland sind laut aktuellen Studiendaten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung rund 430 000 Menschen von einem problematischen Glücksspielverhalten oder einer Glücksspielsucht betroffen. Junge männliche Erwachsene bis 25 Jahre sowie mit Migrationshintergrund oder einem eher niedrigen Einkommen gehören dabei zu den Risikogruppen. Viele hoffen auf den großen Gewinn. Stattdessen führt häufiges Spielen fast immer zu hohen Geldverlusten.

Foto: ©wpadington - stock.adobe.com

Offizielles Krankheitsbild

Durch die Aufnahme in die internationalen Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-5 wurde pathologisches Glücksspiel offiziell als Krankheit anerkannt. Im DSM-5 wird das Krankheitsbild als „Gambling Disorder“ – Glücksspielstörung – den Abhängigkeitserkrankungen zugeordnet. Um ihren „Kick“ zu bekommen, setzen Betroffene immer mehr Geld ein und jagen dann den Verlusten panisch hinterher. Häufig wird erfolglos versucht, das Spielverhalten zu kontrollieren, was meist zu starker Unruhe und Gereiztheit führt. 

Verlorenes zurückholen

Kurt M. wettet auf Bundesliga- und „Champions League“-Spiele, setzt mal 10, mal 20, bald auch schon 30 oder 50 Euro. „Am Ende habe ich beinahe jeden Tag gespielt. Nicht mehr nur Fußball, sondern auch Tennis, Eishockey, alles was mit Sport zu tun hat“, so der 49-Jährige. Er verdient gut. Zunächst tut das Loch in der Haushaltskasse nicht weiter weh. Vor seiner Frau verheimlicht er sein Treiben. „Man will sich das Geld, was man verloren hat, wieder zurückholen, will das mit Gewalt wieder gut machen“, erinnert sich Kurt M. 

Verluste werden höher, der Druck größer

Das geht aber nicht auf. Die Verluste werden größer und mit ihnen der Druck. Monatlich gehen 200 bis 400 Euro über den Jordan. Seine Frau hält nicht mehr still. Spricht ihn auf seine Wesensveränderung an. Erst blockt er ab. Sie gibt sich damit nicht zufrieden. Irgendwann offenbart er ihr dann doch alles. Sie verlangt, dass er sich Hilfe suchen soll. „Das habe ich erst mal ins Lächerliche gezogen. Ich? Ich brauche doch keine Hilfe.“

Ursachen und Lösungen ergründen

Die Stimmung ist im Keller. Schlafstörungen und Gewissensbisse werden schlimmer. Das Gefühl, seiner Frau, das Geld aus dem Portemonnaie zu klauen. Der Selbstbetrug. Bis er den Frust nicht mehr aushält und sich letzlich doch an die Drobs wendet. In vielen Beratungssitzungen spricht er sich alles von der Seele, ergründet Ursachen und Lösungen. Heute fühlt er sich froh und glücklich. „Ich habe gemerkt, dass das alles nur Show ist, hätte nie gedacht, dass man da so tief reingeraten kann, wie stark sich Körper und Geist umstellen“, ist Kurt M. immer noch verwundert über den Verlauf seiner Spielsucht, „aber ich habe mir Hilfe gesucht. Gott sei Dank. Ich weiß ja nicht, was später noch passiert wäre. Ich habe noch alles. Andere haben alles verloren.“

Wieder Freude am Spiel

Angst vor einem Rückfall hat Kurt M. nicht. Zu sehr schätzt er sein jetziges wieder entspanntes Leben. Schlafen ohne Kopfzerbrechen. Am Ende des Monats von seinem hart erarbeiteten Geld noch was übrig zu haben und für seine Frau und sich auszugeben. Fußballspiele nicht mehr fixiert auf das Ergebnis zu gucken, sondern die Freude am Spiel wieder zu genießen. „Ich stehe morgens auf und bin stolz auf meine Entscheidung. Ich habe mich selber besiegt.“

Geht lieber ins Fußballstadion

Enorm wichtig ist ihm, anderen Betroffenen ans Herz zu legen, sich Hilfe zu suchen, denn: „Im Spiel wirst Du immer der Verlierer sein, nie der Gewinner.“ Es sei Wahnsinn, wie viele Leute diese App nutzten, schon Jugendliche ihr Taschengeld verspielten. Die Werbung für Glücksspiele ist Kurt M. ein Dorn im Auge. Er wünscht sich, dass Fußballstars keine Werbung mehr für Sportwettenanbieter machen, wie Lothar Matthäus für Interwetten. Und anderen Betroffenen rät er: „Leute, lasst die Finger davon, geht lieber mal ins Fußballstadion und kauft euch was Schönes.“

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