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Such(t) das Glück

von Cécile Amend
Erschienen: Zuletzt aktualisiert:

Ein starker Wille allein reicht in der Regel nicht aus, um eingefahrenes Spielverhalten nachhaltig zu verändern. Wer Spielprobleme anpacken will, muss das Glücksspiel zunächst als Glücksspiel akzeptieren. Unterstützung beim Ausstieg gibt es bei der Lüneburger Fachstelle für Sucht und Suchtprävention. Hier ist Anne Sikorski, Fachkraft zur Prävention und Beratung von Glücksspielsucht, für das Land Niedersachsen tätig.

Frau Sikorski, im Juli 2021 trat der neue Glücksspielstaatsvertrag in Kraft. Was regelt dieser? 

Mit ihm wurde das Online-Glücksspiel, was bislang nur in Schleswig-Holstein erlaubt war, überall genehmigt. Er regelt, was stattfinden darf, definiert etwa ein Einsatzlimit von 1000 Euro je Monat, was auf Antrag auf 30 000 Euro hochgesetzt werden kann.

Wie bewerten Sie den Glücksspielstaatsvertrag?

Was neu und gut ist, ist die Sperrdatei, Spieler können sich bundesweit und spielformübergreifend sperren lassen. Hier ist allerdings die Infrastruktur noch nicht gegeben. Das Einsatzlimit von 1000 Euro und die mögliche Erhöhung auf 30 000 Euro sind in meinen Augen zu hoch. Es ist auch überhaupt nicht klar, wie solche Anträge geprüft werden. Nicht gut ist, dass Werbung weiter erlaubt bleibt ab 21 Uhr, da sitzen viele Jugendliche noch vor dem Fernseher.

Online-Glücksspiele besitzen ein besonders hohes Suchtpotenzial, warum?

Sie sind permanent verfügbar und anonym. Die Teilnahme kann leicht vor Mitmenschen verheimlicht werden. Und durch die bargeldlose Zahlung verschwimmt die Einschätzung, wie viel Geld ich verloren habe, was ich mir noch leisten kann. Spieler wollen ihre Verluste wieder ausgleichen. Das irrationale Verständnis, verspieltes Geld nur mit Spielen wieder reinzubringen, dieser Kreislauf wird online noch verstärkt.

Bei welchen Glücksspielen droht das höchste Suchtrisiko?

Von niedrig zu hoch: Lotto, Rubbellose, Sport- und Pferdewetten, Poker/Roulette, Automatenspiele in Spielhallen, alles, was online gespielt wird.

Fallen Onlinegames wie Fortnite, FIFA, Minecraft, Counter-Strike und League of Legends und vergleichbare Spiele eigentlich auch unter den Glücksspielstaatsvertrag?

Nein. Aber viele dieser Spiele haben glücksspielähnliche Elemente, zum Beispiel Lootboxen, in denen Items oder Skins sind. Da geben junge Menschen sehr viel Geld für aus. Wer beispielsweise auf einer Pokertrainingsseite um Punkte pokert, denkt vielleicht, ich kann ja super pokern, geh‘ ich doch mal ins Casino – dabei war‘s nur der Algorithmus.

Wer ist besonders gefährdet, spielsüchtig zu werden?

Junge Männer, bei Sportwetten Sportaffine, Männer mit vermeintlichem Expertenwissen, Servicekräfte in Spielhallen. Vom Charaktertypus sind sie risikobereit, auf Gefahr aus und impulsgesteuert. Aber es gibt auch sehr Zurückgezogene, die Kontakte und Konflikte vermeiden. Da spielt der soziale Faktor eine Rolle. In der Spielhalle bekommen sie Kaffee, werden betüdelt und kommen ins Gespräch. Sind aber ja trotzdem Kunden.

Was sind die Kennzeichen einer Spielsucht?

Steigerung der Einsätze, erfolglose Versuche der Spielaufgabe, Entzugserscheinungen, Ausblendung unangenehmer Stimmungen, Weiterspielen nach Geldverlusten, Lügen, illegale Handlungen, Gefährdung von Beziehungen, Hoffnung auf Geld durch Dritte.

Was sind ihre Folgen?

Onlinespielen sieht man von außen nicht unbedingt. Auch Spielhallenbesuche im Tagesablauf werden von Angehörigen häufig nicht bemerkt. Das Spielen führt zu Schulden, Vernachlässigung von Beziehungen, Fehlzeiten bei der Arbeit, Krankschreibung. Dieses Doppelleben zu führen bedeutet immensen Stress, Stimmungsschwankungen sind die Folge und ein hohes Risiko für Suizid. Wer gewonnen hat, fühlt sich eine Weile gut, macht vielleicht viele Geschenke, verliert er dann wieder, ist er gereizt, vermeidet Konflikte. Beschaffungskriminalität ist ein Thema. Süchtige verspielen nicht nur Geld, sondern auch Vertrauen. 

Wo können sich Betroffene oder Angehörige und Freunde von Spielsüchtigen Hilfe holen?

In Beratungsstellen wie der Drobs, im Internet, bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, beim Hausarzt. Außerdem gibt es vor Ort in Lüneburg und online Selbsthilfegruppen.

Wie sieht eine Therapie aus?

Die Ziele der Therapie sind unter anderem Lebensfreude ohne Suchtmittel zu empfinden, Konfliktfähigkeit, Stressbewältigung und Selbstwertgefühl zu verbessern. Wichtig sind auch der Aufbau und Stärkung familiärer und freundschaftlicher Kontakte und aktive Freizeitgestaltung. Und nicht zuletzt die Entwicklung eines veränderten Verhältnisses zum Geld.

Risiko Computerspiel

Circa drei Millionen Jugendliche in Deutschland im Alter zwischen 12 und 17 spielen regelmäßig Computerspiele. Das sind 72,5 Prozent aller Jugendlichen. Von diesen gehören 15,4 Prozent der Risiko-Gruppe an, das heißt: Bei rund 465 000 Minderjährigen bestünde die Gefahr auf Computerspielsucht. Das sind die Ergebisse einer DAK-Studie von 2019 über Gaming-Sucht.

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