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Aus eigenem Antrieb

von Ute Lühr
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Für die einen ist es ein Statussymbol der urbanen Oberschicht, für die anderen ein Kennzeichen fanatischer Klimaaktivisten, und wieder andere sehen in ihm schlichtweg ein provokantes Verkehrshindernis. Mareike Müller ist das alles egal. Vor drei Jahren hat die 37-Jährige ihr Auto gegen ein Lastenrad getauscht, transportiert damit Hund und Kind, regelmäßig auch die Wocheneinkäufe. „Besonders für eine Stadt wie Lüneburg ist es einfach ideal“, sagt die zweifache Mutter, „da ist der Bewegungsradius klein, und die Wege sind kurz.“

Stau und Parkplatzsuche zum Umdenken bewogen

Keine fünf Kilometer sind es von Oedeme aus bis in die Innenstadt – eine Distanz, die die Erzieherin mit ihren beiden Söhnen häufig zurücklegen musste, um zur Ergotherapie zu fahren, zum Markt zu gehen oder den Einzelhandel aufzusuchen. „Mal stand ich ewig im Stau, mal fand ich keinen Parkplatz“, erzählt sie, „das hat mich zum Umdenken bewogen.“ Das Rad sei doch eine ideale Alternative, überlegte sich Mareike Müller, „ich bin relativ schnell am Ziel, bekomme frische Luft und bewege mich“. Sie informierte sich.

Damals kaum Angebote

Eine befreundete Familie aus dem Stuttgarter Raum berichtete von ihren Erfahrungen, motivierte auch die Lüneburgerin zum Kauf, der sich allerdings schwierig gestaltete: „Hier gab es damals kaum Angebote“, sagt die 37-Jährige, „vor allem nicht für meine Bedürfnisse.“ Und die waren konkret: Ein Zwei- und kein Dreirad sollte es sein, die Lasten vorne und nicht hinten getragen werden können, eine Zuladung von rund 100 Kilogramm unterstützen und im Aufbau flexibel sein. „Das Ganze dann aber nur als E-Bike.“ Sie fuhr nach Hamburg.

Rad gegen Auto getauscht

Die Vorstellungen wurden schnell konfiguriert, der Preis ermittelt: „Der saß“, erinnert sie sich. „Als ich das meinem Mann präsentierte, war klar, dass das zweite Auto nicht mehr zu finanzieren war. Und das war auch gut so“, sagt Mareike Müller: Bei Wind und Wetter nutzt sie nun das Rad – obwohl sie Radfahren eigentlich hasst, solange es nicht dem sportlichen Zwecke dient, primär, wenn man ins Schwitzen kommt: „Dadurch, dass es aber motorunterstützt ist, bin ich zügig und angenehm unterwegs“, schwärmt sie.

Schlechte Infrastruktur

Vorbei an zwei Schulstandorten zu den morgendlichen Stoßzeiten, vorbei an den im Stau stehenden Autos im nachmittäglichen Berufsverkehr: Mareike Müller hat die Vorzüge des Zweirads schätzen gelernt, auch wenn nicht alles optimal ist. „Die Infrastruktur ist doch ziemlich schlecht“, sagt sie, „und auf E-Bikes im Allgemeinen und Lastenräder im Besonderen doch gar nicht ausgerichtet.“ Enge Radwege, Schlaglöcher übersäte Verbindungen, wenig Aufstellfläche an den Querungen: „Das ist echt gefährlich“, sagt die Erzieherin, „da merkt man jeden Schlag.“

Dennoch hat sie ihre Entscheidung nie bereut, denn schnell und gut gelüftet das Ziel zu erreichen, sei ein echter Vorteil, meint sie. „Und fahren lässt sich mein Rad im Großen und Ganzen wie ein ganz normales E-Bike auch.“

Lokaler und CO²-neutraler Lieferverkehr

Das ist bei Andreas Göhring anders. Vor mittlerweile sechs Jahren hatte der Bau-Sachverständige seinen Job an den Nagel gehängt, war es leid, jahrein, jahraus Tausende von Kilometern mit dem Auto zurückzulegen. Sein Traum: Eine mobile Garküche auf drei Rädern ­– die fand beim Ordnungsamt aber keine Genehmigung. Deshalb orientierte sich der Lüneburger um und setzte sich ein neues Ziel: ein lokaler und CO²-neutraler Lieferverkehr in der Innenstadt, das „LaRaLü“.

Rad auf drei Rädern eine Übungssache

„Begonnen habe ich mit der Verteilung von Gemüse“, erinnert der 60-Jährige sich, „jeden Donnerstag vier- bis fünfmal hatte ich das Rad damit voll.“ Das Rad, das ist ein echtes Geschoss, kann eine Europalette transportieren oder aber bis zu 20 Obstkisten. Dafür ist es aus speziellem Leichtmetall gebaut und fährt auf drei Rädern. „Und das macht dann doch einen Unterschied zum herkömmlichen Bike, denn Kurvenlehnen ist damit nicht machbar.“ Mit dem Körper muss eine Balance gefunden, damit der Kippgefahr begegnet werden. „Aber das ist reine Übungssache.“

Fester Kundenstamm

Sein Fahrzeug beherrscht Andreas Göhring, ebenfalls die Gesetze des Markts: Sein Geschäft hat er mittlerweile ausgebaut, dabei auch die Umstände der Zeit genutzt: „Corona kam mir da doch sehr entgegen“, erzählt er, „bescherte mir einen kleinen Auftragsboom.“ Sechs Tage in der Woche war er für die Buchhandlung am Markt unterwegs, hat sie auch zu seinem festen Kundenstamm gemacht, dem auch die Grapengießer Apotheke oder Bäckerei Hesse angehören. Luft nach oben ist aber allemal.

Klimaneutrale Einkäufe

„Ich möchte eine Fahrradlogistik für alle Lüneburger und Lüneburgerinnen etablieren, im Rahmen derer alles mit Ausnahme lebender Tiere oder Lebensmittel, die eine Kühlkette erfordern, innerhalb eines bestimmten Radius transportiert wird“, erklärt er, „denn das leistet einen enormen Beitrag für klimaneutrale Einkäufe.“ Im Dezember 2020 hatte er sich dazu mit zwei Mitstreitern zusammengeschlossen und im Rahmen des Experiments „Das Rad bringt’s“ kostenlos Waren ausgeliefert. Noch sind aber nicht genügend Kunden im Boot, hat der Service doch einen kleinen Haken. Und zwei Begrifflichkeiten.

Next Day

„Next Day“ bezeichne die Lieferung am Folgetag, lasse sich dadurch besser organisieren und Routen optimaler planen. „Das macht die Sache günstig.“ „Same Day“ wiederum erfordere einen Service auf Abruf, mit entsprechenden Kosten. „Das treibt den Preis und beeinflusst die Konkurrenzfähigkeit.“ Und da greife so mancher Kunde dann doch auf den Kurierdienst zurück.

Kooperation mit dem Heid Löper

„Letztlich will ich aber gar nicht nur die Lieferanten im Blick haben“, sagt Andreas Göhring, „ich will auch ein Dienstleister für die Endkunden sein.“ Über eine App sollen die – so die Idealvorstellung – Einkäufe tätigen und dann das „LaRaLü“ kontaktieren: Das holt die Waren dann vom Laden und bringt sie an die Tür. „Etwas Zeit für eine Tasse Kaffee will ich dann natürlich miteinplanen“, sagt der 60-Jährige und schmunzelt.
Drei Kilometer, das haben Berechnungen ergeben, seien der optimale Radius für das Konzept, bis fünf ist die Sache noch möglich. Kooperationen auch. Eine solche ist er bereits mit dem „Heid Löper“ eingegangen, „denn das sind letztlich die Logistik-Profis für unsere Region“.

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