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Etwas mehr Taktgefühl, bitte!

von Ute Lühr
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S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn, Stadtbus, Rufbus oder Anruf-Sammel-Mobil – klar ist: Alternativer Verkehr ist in hohem Maße auch von öffentlichen Angeboten abhängig. So hat das „International Transport Forum“ errechnet, dass sich in einer Stadt wie Lissabon der Pkw-Anteil um 97 Prozent reduzieren lässt, wenn Privatfahrzeuge durch Sammelbusse und Sammeltaxis ersetzt werden. Das senkt die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr um die Hälfte, die CO²-Emissionen um ein Drittel und befreit den öffentlichen Raum von parkenden Autos.

Auto gegen ÖPVN tauschen

Nun ist Portugal nicht Deutschland und Lüneburg schon gar nicht Lissabon – doch auch hier gibt es Möglichkeiten, das Auto gegen den ÖPNV zu tauschen, existieren doch auch hier ein liniengebundenes Angebot sowie einige bedarfsorientierte Optionen. Qualität und Quantität sind aber nicht überall gleich gegeben und laden besonders die Menschen in den ländlichen Gebieten, außerhalb der Stadt und ihrer Randgemeinden, nur selten zum Umsteigen ein. Das Thema ist komplex.

Zuständigkeit liegt beim Landkreis Lüneburg

„Grundsätzlich muss man wissen, dass der gesamte Busverkehr im Zuständigkeitsbereich des Landkreises Lüneburg liegt“, sagt Stefan Borchers, Mitarbeiter in dessen Fachdienst Mobilität. „Der wiederum hat einen Vertrag mit der Kraftverkehrgesellschaft (KVG) in Stade, im Amt Neuhaus auch mit Verkehrsgesellschaft Ludwigslust-Parchim (VLP) in Hagenow, die letztlich für den Betrieb zuständig sind.“

Volle Busse haben wir in der Regel ja nur zu den wirklichen Stoßzeiten
Stefan Borchers
Landkreis

Foto: nh/tonwert21.de

Ländliche Gebiete haben leere Busse

Fahrzeuge und Personal werden von den Dienstleistern gestellt, Fahrpläne und Haltepunkt aber vom Kreis geregelt – und der hat sich schon vor einigen Jahren Gedanken gemacht: „Volle Busse haben wir in der Regel ja nur zu den wirklichen Stoßzeiten“, sagt Borchers, „also besonders im Schülerverkehr und primär in der Stadt.“ Gerade aber in den ländlichen Gebieten ist die Auslastung zumeist dünn, mitunter sehr dünn, was nach Alternativen rief.

„Mein RufMobil“ ist die Ergänzung

Im Jahr 2019 startete die Verwaltung deshalb das Pilotprojekt „Mein RufMobil“ in den Samtgemeinden Gellersen und Bardowick, weitete es Ende vergangenen Jahres auch auf die übrigen Gebiete aus. Im Zwei-Stunden-Takt fährt der Rufbus innerhalb der Woche von etwa 5 bis 21 Uhr sowie am Wochenende zwischen 8 und zirka 19 Uhr feste Haltestellen an. Aber nur auf Bestellung. Damit ergänzt, aber ersetzt es nicht den regulären Busverkehr – und bedient nur jene Strecke des Fahrplans, die auch tatsächlich benötigt wird. Eine Stunde vor Fahrtantritt muss dafür eine Anmeldung erfolgt sein.

Dörfer untereinander mehr verbinden

„Dieses Angebot dient damit zum einen einer Verdichtung des Taktes, zum anderen verbindet es aber auch die Dörfer im ländlichen Raum untereinander“, sagt der Mitarbeiter des Landkreises. Sofern sie denn an den Strecken liegen, denn das ist weiterhin der Haken: „Der Streckenverlauf ist immer sternförmig in Richtung Stadt“, sagt Borchers, „eine Ringverbindung innerhalb der Ortschaften gibt es nicht.“

Für die Abendstunden gibt es das ASM

Für die Abendstunden, wenn kein regulärer Linienbus mehr fährt, gibt es zudem das Anruf-Sammel-Mobil (ASM), das nach einem festen Fahrplan verkehrt und wie der Rufbus auch vorher angemeldet werden muss. Zur vereinbarten Zeit werden die Fahrgäste dann an der gewünschten Bushaltestelle abgeholt und bis zur Haustür gefahren. Das ASM fährt jeden Tag stündlich von 20:45 Uhr bis 0:45 Uhr, Samstag und Sonntag zusätzlich bis 2:15 Uhr, von den Haltestellen Lüneburg Bahnhof, Am Sande und am Markt in das Stadtgebiet und in die Gemeinden des Landkreises Lüneburg. Aber auch nicht umgekehrt.

Bedarfsorientierte Ergänzungsangebote

„Letztlich haben wir durch diese bedarfsorientierten Ergänzungsangebote aber die Möglichkeit, flexibler auf die Wünsche der Fahrgäste zu reagieren“, sagt Borchers, und ergänzt: „Dennoch steht vieles auf dem Prüfstand.“ Welche Haltestellen sind überflüssig? Welche örtlichen Gegebenheiten haben sich verändert? Welche Verkehrsträger, Verkehrsformen und Infrastrukturen werden eigentlich benötigt?

Fragen wie diese soll nun ein neuer Mobilitätsplan untersuchen, den Stadt und Kreis gemeinsam in Auftrag gegeben haben. „So muss beispielsweise auch geklärt werden, ob es eigentlich noch zeitgemäß ist, seinen Fahrtwunsch beim ASM oder Rufbus per Telefon anzumelden“, sagt Borchers, „oder dieses nicht viel einfacher per App erfolgen sollte.“

Foto: nh/tonwert21.de

Rufbus und ASM sind wichtig, aber noch wichtiger ist ein Regio-S-Bahn-Konzept
Professor Dr. Peter Pez
Verkehrsexperte an der Leuphana

Rolle der Bahn

Geklärt werden muss aber auch ein ganz anderer Aspekt: Die Rolle der Bahn. Zahlreiche Schienenstrecken in Stadt und Kreis zeugen noch heute von ihrer Bedeutung in früheren Zeiten – und stehen derzeit wieder auf dem Prüfstand. Auch Professor Dr. Peter Pez, Verkehrsexperte an der Leuphana, hat sich mit diesem Thema befasst. „Rufbus und ASM sind wichtig, aber noch wichtiger ist ein Regio-S-Bahn-Konzept“, sagt dieser, „damit Lüneburg wieder das wird, was es bis in die 1970er-Jahre gewesen ist: Ein echter Bahnknotenpunkt.“ Aktuell gebe es nur noch Nord-Süd-Strecken im attraktiven Stundentakt, also die Verbindung zwischen Hamburg und Hannover sowie die nach Lübeck. „Der Landkreis weist aber viel stärker eine West-Ost-Erstreckung auf, und da sieht es dünn aus“, sagt der Experte. 

Reaktivierung von Bahnstrecken

Lediglich die Wendlandbahn sei derzeit noch in Nutzung für den Personenverkehr, das aber in einem unattraktivem Drei-Stunden-Takt. Diesen gelte es in einem ersten Schritt zu intensivieren, können aber nicht ausreichen, um die abgelegeneren Gemeinden für neue Wohnansiedlung attraktiver zu machen, sich dadurch gegen die Überalterung zu wappnen: Hier spielten besonders die Reaktivierung der Bahnstrecken nach Bleckede und Amelinghausen eine große Rolle.

Bahn hat klare Vorteile

Der Bedarf ist vorhanden, davon ist der Fachmann überzeugt, und sieht auch sonst in der Bahn klare Vorteile: Sie sei schneller als das Auto, habe eine größere Laufruhe als der Bus und böte zudem noch die ideale Möglichkeit, das Rad mit an Bord zu nehmen – Qualitätsmerkmale, die auch Stefan Borchers kennt: „Ein Umsteigen auf die Bahn gelingt viel eher als auf jedes andere öffentliche Verkehrsmittel.“

Bewegung in den Schienenverkehr bringen

Um Bewegung in den Schienenverkehr zu bringen, hat der Landkreis Lüneburg Gutachten zur Bahnstreckenreaktivierung erstellen lassen – mit positivem Ergebnis: Die Strecke zwischen Lüneburg und Heide ist wirtschaftlich sehr attraktiv, Richtung Elbe ist noch Luft nach oben. „Wir bleiben dran, auch wenn das Thema nicht direkt in unseren Zuständigkeitsbereich fällt“, sagt der Verwaltungsmitarbeiter.

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