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Wenn der Körper schwindet

von Cécile Amend
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Schon vor dem Klingeln ist Bennys Bellen durch die Tür zu hören. Kein lautes, angriffslustiges Bellen, eher ein sanftes, aber bestimmtes und leicht heiseres. Als Elke Barenthin dem Fotografen und mir die Tür öffnet, reißt es nicht ab. Benny liegt mitten im Flur, beargwöhnt uns und bellt. Wer sind die denn jetzt? Und was hat der Mann da in der Hand? Sein Frauchen fordert uns auf, hineinzukommen, was bedeutet, über Benny hinwegzusteigen, während er immer weiter bellt. 

Zittern ist seine Art Liebe zu zeigen

Jetzt sind auch wir ein wenig skeptisch. „Nein, der beißt nicht.“ Kurzes Beschnuppern, eine erste Berührung. Okay, der bleibt friedlich. Beim Fototermin in der Garage beginnt Benny zu zittern. Nun bin ich besorgt. Hat er Angst vor uns? „Nein“, erklärt mir seine Besitzerin, „er freut sich.“ Das Zittern ist seine Art, ihr seine Liebe zu zeigen, Energie rauszulassen. Es ist ihm neben Gestik, Mimik und Bellen als Ausdrucksform geblieben. 

Denn mit dem Schwanz wedeln und dadurch körpersprachliche Signale senden, kann Benny nicht mehr. Er leidet an Degenerativer Myelopathie, einer immer weiter fortschreitenden, nicht heilbaren Erkrankung, bei der die langen Nervenbahnen des Rückenmarks langsam nach und nach absterben. „Im Kopf allerdings ist er sehr klar“, verdeutlicht sein Frauchen, „er ist sehr sensibel und wachsam.“

Leben mit Rollihund

Eigentlich sollte diese Geschichte eine andere werden. Mobilität ist das Thema dieser Ausgabe. Die Idee war, das Leben mit einem Rollihund zu beschreiben. Das Tierzentrum Lüneburger Heide, Spezialisten für Tiere mit Problemen am Bewegungsapparat, vermittelte mir die Adresse von Frau Barenthin und Benny. Aber wie es eben manchmal so ist: Zwischen unserer Terminvereinbarung und dem Termin kam das Leben dazwischen.

Bennys Zustand verschlechterte sich rapide, sodass er jetzt, wo wir hier zusammensitzen, mit seinem Rolli nicht mehr fahren kann, sondern mittlerweile komplett auf Herrchen und Frauchen, Karl-Heinz Mengershausen und Elke Barenthin, angewiesen ist. Für das Ehepaar lange kein Grund, ihn aufzugeben: „Er ist wie ein Kind für uns. Er hat uns so viel Freude gebracht. Und er ist einfach noch viel zu fit im Kopf“, sagt Elke Barenthin. Auch, wenn das für sie und ihren Mann im Alltag einige Belastungen mit sich bringt.

 

Ohne Hund ist das Haus so leer

2011 verlor das Paar seinen ersten Hund an den Krebs. Danach wollten die beiden, sie voll berufstätig als Erzieherin, er in Erwerbsminderungsrente und engagiert in der Löwe-Stiftung, eigentlich erstmal keinen Hund mehr. Doch, Tierfreunde kennen das: Das Haus fühlte sich so leer an. Kein Trubel. So still.

Zeitungsanzeige vermittelt

Es folgten Besuche im Tierheim, bei denen sich aber nie das „Den nimmst Du jetzt mit nach Hause“-Gefühl einstellte. Da fiel Elke Barenthin eine Zeitungsanzeige auf: „Welpen abzugeben, kommen Sie gern unverbindlich vorbei.“ Gelesen, getan, verliebt. Die Mutter der Welpen war ein weißer Schäferhund, der Vater ein Mix aus Collie und weiteren Hütehunden. „Benny war der einzige aus dem Wurf, der aussah wie ein Collie“, erinnert sich sein Frauchen.

Hundealltag, Hundeglück

Es begann als ganz normales Hundeleben. Wöchentliche Besuche des Wurfes, um die Entwicklung mitzuerleben. Irgendwann Benny nach Hause holen. Hundealltag, Hundeglück. Bis Herrchen und Frauchen bei einem Spaziergang im Sommer 2019 auffiel, dass Benny eine Hinterpfote hinter sich herzog. Da er kürzlich ausgebüchst war, schrieben seine Besitzer die Verletzung dem ungeplanten Ausflug zu. Vielleicht ein Bandscheibenvorfall oder eine Stauchung. Das Röntgenbild der Lüneburger Tierklinik ergab keine Diagnose. Unter Physiotherapie verbesserten sich Bennys Beschwerden.

 

Foto: nh/tonwert21.de

Haltegurt für die Lenden

Und verschlechterten sich wieder. Derart, dass seine Besitzer bald einen Haltegurt für seine Lenden benötigten, um mit ihm seine Runde zu drehen. Bei 27 Kilogramm Hundegewicht nicht eben ein Spaziergang, weder für Frauchen noch für Benny: „Der fand das doof, dass er nicht mehr da hin konnte, wo er wollte. Ins Unterholz, wenn Frauchen hinten dran hängt – eher schlecht“, erinnert sich Elke Barenthin, die trotz der herausfordernden Umstände ihren Humor nicht verloren hat.

Diagnose: Degenerative Myelopathie

Im Sommer 2020 dann die Diagnose: Degenerative Myelopathie. Typisches erstes Symptom ist eine Ataxie der Hinterhand. Betroffene Hunde zeigen Anomalien im Gangbild: Sie stolpern leichter, fallen häufiger hin, oder schleifen beim Gehen die Krallen über den Boden. Es treten Lähmungen beider Hinterbeine auf, die im Verlauf immer deutlicher werden, bis hin zu vollständigen Lähmungen. Zum Glück im Unglück sorgt die Schädigung des Rückenmarks dafür, dass keine Schmerzen auftreten.

Durch Rolli eine neu gewonnene Freiheit

Glück hatten Bennys Halter auch mit der Physiotherapeutin in Reinstorf. Die hatte selbst gelähmte Hunde gehabt – und einen gebrauchten Rolli übrig. Der war Benny allerdings zu klein, sodass sich Elke Barenthin entschloss, einen passenden im Tierzentrum Lüneburger Heide anfertigen zu lassen. Eine Entscheidung, die das ganze Hundeleben drehte. „Das fand Benny toll. Damit konnte er sich wieder so frei bewegen, dass ich manchmal sehen musste, wie ich hinterherkomme. Er war richtig happy und genoss seine neu gewonnene Freiheit.“ Inklusive Steckenbleiben im Unterholz. Aber dann wurde halt so lange gebellt, bis Frauchen zum Befreien kam.

Benny baut Tag für Tag weiter ab

Diese freudvolle Zeit der Wiederentdeckung der Beweglichkeit währte leider nur kurz. Im Herbst 2021 begann Benny, Pipi zu verlieren. Blase und Darm versagten den Dienst. Seitdem trägt er Windeln. Und Tag für Tag baut er weiter ab. Das ist für ihn und seine Halter nicht immer einfach, zu ertragen. „Er war so ein lebhafter Hund. Und trotzdem fügt er sich ohne Murren in sein Schicksal. Er hat wegen der Windeln nicht einmal geknurrt oder rumgezickt. Er hat sich mit seiner Krankheit arrangiert“, konstatiert Elke Barenthin, „auch unsere Physiotherapeutin, wo wir einmal in der Woche sind, ist begeistert, wie geduldig er das alles akzeptiert.“

Buggy statt Rolli

Für sie und ihren Mann ist das Leben komplizierter geworden. „Es gibt kein ‚Wir gehen mal eben kurz raus‘ mehr.“ Nachdem Benny in den vergangenen Wochen auch das Fahren mit Rolli nicht mehr möglich wurde, hatte ihr Mann die Idee, einen Fahrradbuggy für ihn umzufunktionieren. Seither sind die beiden zweimal am Tag mit Benny im Buggy unterwegs. „Er liebt das. Aber ich kann ihn nicht in die Karre setzen ohne meinen Mann“, erläutert Elke Barenthin. Auch zu Hause kann Benny nicht mehr die Räume wechseln, ohne dass ihm jemand hilft.

Das Leben lebenswert machen

„Es ist alles schwieriger geworden“, bilanziert Elke Barenthin, „aber trotzdem hat der Hund noch Spaß.“ Sie fordert ihn, wo sie kann, um seine restliche Kraft zu erhalten. An Tag X mag sie nicht denken. „Er macht uns noch Freude und wir versuchen, sein Leben so lebenswert zu machen wie möglich.“ Doch die Degenerative Myelopathie ist unerbittlich, schreitet vom hinteren Körper nach vorne voran, kann auf die Lunge und das Schlucken übergehen, sodass Nahrungsaufnahme und Atmung erschwert sind. Tag X wird kommen. Elke Barenthin kennt ihren Benny in- und auswendig. Sie weiß: „Ich sehe an seinen Augen, wie wohl er sich noch fühlt. Und an seinen Augen werde ich erkennen, wenn es so weit ist.“

Tierheim sammelt 

Anton ist eine Seele von Hund, aber wegen eines Hüftproblems schwer vermittelbar. Um für ihn endlich ein Zuhause

zu finden, sammelt das Tierheim Spenden für seine OP. Leider haben wir in der vergangenen PRISE eine unvollständige Kontonummer abgedruckt. Der IBAN-Code lautet: DE42 2405 0110 0038 0001 62, Stichwort „Anton“

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