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Eltern auf Zeit

von Gastautor
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Pandemie-Folgen, Preissteigerungen, persönliche Probleme: Für manche Familien kommt in diesen Zeiten einfach alles auf einmal. Wenn man dann auch noch den Nachwuchs erziehen muss, sind bei immer mehr Eltern die physischen und psychischen Ressourcen schnell aufgebraucht. Das belegt auch eine Studie des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung aus dem vergangenen Jahr.

Überfordert mit der Erziehung des Nachwuchses

Die Leidtragenden sind meistens die Kinder. Cornelia Wilke aus der Teamleitung des Pflegekinderdienstes der Hansestadt Lüneburg bestätigt, dass vor allem akute Fälle zugenommen haben: „Vermehrt vertrauen sich Mädchen und Jungen beispielsweise ihren Lehrern an und sagen: Ich halte es zu Haus nicht mehr aus.’ Und in der Tat gibt es auch in Lüneburg und Umgebung immer mehr Eltern, die mit der Erziehung oder Versorgung ihres Nachwuchses heillos überfordert sind.“

Kurzfristige Hilfe

In solchen Fällen bieten die Hansestadt und der Landkreis Lüneburg unterstützende Hilfeleistungen an. So können Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre kurzfristig oder auch langfristig in einer Pflegefamilie untergebracht werden. Die Stadt verfügt dabei über 50, der Landkreis über 98 Pflegestellen.

Bedarf an Pflegefamilien steigt

Doch sowohl in der Stadt als auch im Landkreis gibt es ein Problem: Während der Bedarf an Pflegefamilien steigt, erklären sich immer weniger Menschen für die Übernahme einer Pflegschaft bereit. „Das liegt zum einen daran, dass unsere Gesellschaft älter wird und man nur bis zu einem gewissen Alter eine Pflegschaft übernimmt”, sagt Kristina Rau, zuständig für Inobhutnahmen. Eine Inobhutnahme ist eine vorläufige Aufnahme und Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen durch das Jugendamt, wenn eine Notsituation vorliegt.

Viele Gründe

Cornelia Wilke nennt eine Richtlinie für eine langfristige Betreuung: “Wenn die Pflegeeltern in Rente gehen, sollten die Pflegekinder erwachsen sein.” Zum anderen, so fügt Kristina Rau hinzu, gebe es auch immer mehr Familien, in denen beide Partner arbeiteten und sich dabei nicht so koordinieren könnten, dass sie noch Zeit für Pflegekinder hätten. “Gesellschaftspolitisch gesehen wirkt sich jede Veränderung im sozialen Sektor auch auf unsere Arbeit aus”, so Rau. „Zudem sind in den vergangenen Monaten in Europa Dinge geschehen, die wir uns in unserer Generation nicht hätten erträumen lassen.” Das sorge bei vielen auch für Verunsicherung und Zukunftsangst.

Egal, ob Familie oder Einzelperson

Dennoch werben die Fachdienstleiterin für Jugendhilfe und Sport im Landkreis, Ines Benne, genauso wie Wilke und Rau für die Übernahme einer Pflegschaft. Wilke: „Man muss nicht reich sein, sondern ein stimmiges Leben haben”, sagt sie. Es sei auch gleichgültig, ob sich Familien oder Einzelpersonen bewerben würden. „Wir schauen uns die Lebensumstände an und urteilen im Team und aus unserer langjährigen Erfahrung heraus, ob eine Person oder eine Familie für die Übernahme einer Pflegschaft geeignet ist.” Niemand bekomme Verantwortung übertragen, ohne in ein Netzwerk aus Hilfen und Beratung eingebettet zu sein, ergänzt Ines Benne aus dem Landkreis. “Sehen wir, dass es noch Schwächen gibt, dann übertragen wir die Pflegschaft nicht”, versichert sie.

Nicht naiv rangehen

Es ruhig zu wagen mit einer Bewerbung, empfiehlt Kim Urte Helwig. Sie ist seit 16 Jahren Pflegemutter, hat drei Pflegekinder und zwei eigene mit ihrem Ehemann großgezogen. „Man darf nur nicht naiv an die Sache herangehen”, warnt sie. Niemand sollte ein Pflegekind langfristig aufnehmen wollen, der nur nach einem Spielkamerad für das eigene Kind sucht, seine Ehe retten oder vom Pflegschaftsgeld leben will. “Das funktioniert nicht”, weiß die 44-jährige Heilerzieherin, die in einem Dorf im Landkreis Lüneburg wohnt. 

Pflegekinder mit individuellen Päckchen

Vielmehr brauche man Organisationstalent, Flexibilität, Toleranz, die Bereitschaft für Selbstreflexion, ein gutes Unterstützungsnetzwerk – auch für sich selbst – und ein solides „Rückrat“ sowie den Spaß an Herausforderungen. “Am besten ist ein dickes Fell und eine große Klappe”, sagt Helwig augenzwinkernd. „Ich habe eine Ausbildung im sozialen Bereich und wusste: Die Pflegschaft ist noch eine Aufgabe, die kann ich zusammen mit meiner Familie übernehmen. Also machen wir das”, beschreibt Helwig. 

„Wichtig zu wissen ist, dass jedes Pflegekind ein Päckchen mitbringt. Die Auseinandersetzung mit der Frage Wie sind meine leiblichen Eltern? und Wo komme ich her? steht früher oder später auf der Tagesordnung.“ Damit müsse man umgehen und sich zurücknehmen können. Auch im Kontakt zur Ursprungsfamilie. Helwig: „Optimal für alle Beteiligten ist, wenn man mit den leiblichen Eltern des Pflegekindes einen beständigen, guten Austausch pflegt.” Das stärke das Pflegekind, aber auch die eigene Familie. Hake es hier und da mal, bekäme man von den zuständigen Behörden aber auch stets Unterstützung. 

Unlösbar scheinende Probleme

Dem stimmt Selina Martens zu. Sie holt Kinder, die Hilfe brauchen, kurzfristig zu sich nach Haus. “Wann immer die Stadt oder der Landkreis anruft”, sagt sie. Die Kinder bleiben dann von ein paar Stunden bis zu drei Monaten bei ihr. Rund 50 Kinder hat sie bisher in ihre Obhut genommen. In dieser Zeit suchten die Behörden nach Lösungen für die Konflikte in den Ursprungsfamilien oder eine dauerhafte Unterbringung der Kinder an einem anderen Ort. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Kinder ihre leiblichen Eltern lieben und eigentlich bei ihnen bleiben wollen.” Und die 57-Jährige fügt hinzu: „Im Weg stehen nur oft unlösbar scheinende Probleme.” 

Rührendes Feedback

Da könne es sogar hilfreich sein, wenn man den Sprösslingen als vorübergehende „Ersatz-Mama” mal den Kopf wasche. “Knast kann jeder”, habe sie einem Pflegesohn mal gesagt, „ändere doch selbst mal etwas! Es sind nicht immer die anderen, die dumm sind.” Ergebnis: Ein rührendes Feedback, das sich Selina Martens auf ihrem Anrufbeantworter immer nur zu gern anhört: “ Danke für alles. Ich habe Sie sehr gerne. Und ich habe jetzt ein geiles Leben.” Das sei doch ein schöner Beweis, wie viel Gutes man in einem Menschen manchmal auch schon nach sieben Wochen bewirken könne. 

Eine Pflegschaft wird mit einem Rentenzuschlag honoriert. Darüber hinaus gibt es für Pflegeeltern kostenlose Weiterbildungen. Auslagen, die im Zusammenhang mit der Pflege stehen, übernehmen ebenfalls die Behörden. Pflegeeltern erhalten auch finanzielle Leistungen, die je nach Umfang der Pflege variieren.

Pflegefamilie werden

Eine Pflegschaft wird mit einem Rentenzuschlag honoriert. Darüber hinaus gibt es für Pflegeeltern kostenlose Weiterbildungen. Auslagen, die im Zusammenhang mit der Pflege stehen, übernehmen ebenfalls die Behörden. Pflegeeltern erhalten auch finanzielle Leistungen, die je nach Umfang der Pflege variieren. Wer sich die Übernahme einer Pflegschaft vorstellen kann, meldet sich postalisch beim Pflegekinderdienst der Hansestadt Lüneburg, Am Ochsenmarkt 1, 21335 Lüneburg oder in der Sülztorstraße 21–25 in Lüneburg, Telefon: 04131/3093350, 
E-Mail:

oder beim

Pflegekinderdienst des Landkreises Lüneburg, Auf dem Michaeliskloster 4, 21335 Lüneburg,

Telefon 04131/261718, E-Mail:

Viele Informationen vorab gibt es im Internet auf der Seite www.pflege-und-adoptivkinder-lueneburg.de

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