Göttingen ist ein gutes Pflaster. Zum Studieren auf jeden Fall, um nette Menschen kennenzulernen und tiefe Freundschaften zu begründen auch. Und manch einem begegnet hier sogar der Partner fürs Leben. Anne Werhahn und Hanna Redell haben da Erfahrung: Beide haben im Süden Niedersachsens nicht nur ihren späteren Ehemann gefunden, sondern diesen auch mit auf ihren landwirtschaftlichen Betrieb genommen. Eine lange Familiengeschichte hatte damit eine gesicherte Zukunft. Heute leben sie alle zusammen.
Ein Hof bedeutet Verantwortung
„Wer einen Hof übernimmt, der übernimmt auch Verantwortung. Jede Menge Verantwortung“, sagt Hanna Redell, „der will das erhalten, was die Generationen vor einem aufgebaut haben, und das erzeugt auch eine Menge Druck.“ Ein Gefühl, das ihre Mutter kennt: „Da kann man einfach niemals die Tür zumachen und gehen, wie in so vielen anderen Jobs. Da ist man immer gefordert und immer gefragt“, meint Anne Werhahn. Und trotzdem bereut keine von ihnen die Entscheidung. „Denn ein Leben auf dem Hof hat auch viele Vorteile.“
Niemals Langeweile
Drei Generationen leben heute auf dem weitläufigen Anwesen in Varendorf, das sich mit zwei Betrieben aus der nächsten Nachbarschaft zu einer Kommanditgesellschaft zusammengeschlossen hat. Da sind die Großeltern Anne und Wieland Werhahn, die Eltern Hanna und Onno Redell sowie die drei Kinder Tammo, Lasse und Nesthäkchen Fenna. Dazu zwei Hunde und jede Menge Pferde – Pensionsgäste, die ihre Boxen im großzügigen Stall haben. Einsam ist man hier nie. Gelangweilt schon gar nicht. Und das schätzen besonders die Jüngsten.
Die Jüngsten unterstützen
„Die Kinder sind meist draußen und spielen, bauen sich Geheimverstecke und denken sich dann Geschichten aus“, erzählt ihre Mutter. Sie packen aber auch mit an, denn Arbeit gibt es auf dem Hof genug. Der neunjährige Tammo fährt besonders gerne Gabelstapler. „Damit transportiere ich die vollen Mistkisten und leere diese dann aus.“ Zudem bringt er auch mal die Pferde raus, mäht das Gras mit dem Rasentrecker und hilft seinem Vater, die Beregnung zu installieren und die Kartoffeln zu sortieren. Oder er stattet Oma und Opa einen Besuch ab – denn die wohnen gleich nebenan.

Wer einen Hof übernimmt, der übernimmt auch Verantwortung. Jede Menge Verantwortung, der will das erhalten, was die Generationen vor einem aufgebaut haben, und das erzeugt auch eine Menge Druck.Hanna Redell
Nachdem sie das Tagelöhnerhaus umgebaut haben, sind Anne und Wieland Werhahn aus dem Hauptgebäude ausgezogen und haben den Jüngeren Platz gemacht. „Früher lebten hier noch alle unter einem Dach“, sagt die 66-Jährige, „das haben wir aber geändert.“ So wie vieles andere auch, nachdem sie den Hof von ihren Eltern übernommen hat. Damals gab es noch keine Pferde, dafür aber jede Menge Kühe. „Die Kühe haben wir abgeschafft, sie waren nicht unser Ding“, erinnert sich die sechsfache Großmutter, „dafür haben wir mehr in Kartoffeln investiert.“ Und diese Entscheidung auch niemals bereut. Ebenso wenig wie die für das Leben auf dem Land.
Mit dem richtigen Mann den Hof übernehmen
„Eigentlich wollte ich Erzieherin werden“, sagt Anne Werhahn, „habe mich aber umorientiert und bin in die Agrarwissenschaften gegangen.“ Erziehung könne sie an den eigenen Kindern erproben, habe ihre Mutter gemeint, das habe sie zum Nachdenken gebracht. Studiert, dann promoviert – der jungen Frau standen nach ihrem Abschluss viele Möglichkeiten offen. „Der Hof war aber damals schon so gut dabei, den wollte ich nicht auslaufen lassen.“ Zumal sie mittlerweile auch den richtigen Mann an ihrer Seite hatte.
Von der Erfahrung der Älteren profitieren
Der stammt aus der Nähe von Kassel, aber originär nicht aus der Landwirtschaft – und hätte mit dem Diplom in der Tasche und der Beraterausbildung im Gepäck auch andere Anstellungen finden können: „Mein Schwiegervater wollte sich aber vergrößern, brauchte Hilfe. Und wir waren am Start.“ Zehn Jahre hat das junge Paar den Betrieb dann gepachtet, bevor Anne Werhahn ihn als Eigentum und ihr Mann ihn als mitarbeitender Familienangehöriger übernahmen – eine Geschichte, die sich wiederholen sollte. „Das ist eben eine ideale Regelung“, meint der 69-Jährige, „so kann der Jüngere von der Erfahrung des Älteren noch lange profitieren.“
Arbeitsteilung auf dem Hof
Heute führen Hanna und Onno Redell hier die Regie, in einer ähnlichen Arbeitsteilung wie auch die Generation davor: Der gebürtige Ostfriese ist für die Aufgaben auf dem Feld verantwortlich, seine Frau kümmert sich um Kinder, Buchhaltung und Pensionspferde. Die sind zahlenmäßig noch weiter gestiegen, seitdem ihre Mutter vor zwei Monaten die Ponyreitschule aufgegeben hat und die Ställe nun anders genutzt werden können. „Da hätte ich wahnsinnig viel Geld in die Hand nehmen müssen, um in neue Tiere zu investieren“, sagt Anne Werhahn, „das hätte sich nicht gelohnt.“
Diversifizierung in der Landwirtschaft
Reiten ist ein großes Hobby der beiden Frauen und hat seit 2008 auch einen besonderen Stellenwert auf dem Hof: Damals kaufte die heute 66-Jährige eine Halle vom Nachbarn und baute sie mit EU-Mitteln zu einer Reitschule um. „Ein Paradebeispiel für Diversifizierung in der Landwirtschaft“, wie sie sagt – nicht ohne Stolz. Viele Kinder haben hier ihre ersten Erfahrungen auf dem Rücken der Pferde gemacht, Tammo, Lasse und Fenna auch. Dieses Projekt ist nun aber beendet.
Mehr Zeit für die Enkel
„Jetzt habe ich mehr Zeit für meine Enkel“, sagt Anne Werhahn, „und Zeit für mich.“ Das ist für sie neu. Ihr Mann unterstützt seinen Schwiegersohn noch immer auf dem Hof, hilft bei den Kartoffeln, fährt zu Spitzenzeiten mit aufs Feld oder besorgt das Futter für die Tiere. „Es ist doch immer gut, einen geländegängigen Rentner im Haus zu haben“, sagt der 69-Jährige und lacht. In der Pflicht ist er aber nicht mehr wirklich: Seit 2013 gehört der Hof seiner Tochter.
Die hat studiert wie ihre Mutter und promoviert wie ihre Mutter und in Göttingen den Mann fürs Leben kennengelernt wie ihre Mutter. Und wer weiß, ob sich diese Geschichte nicht noch einmal wiederholt.