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Die Dosis macht‘s!

von Ute Lühr
Erschienen: Zuletzt aktualisiert:

Deutschland verfettet. Das ist keine neue Erkenntnis, hat in Zeiten von Corona aber noch weiter zugenommen, denn das, was durch die Schließung der Sporthallen und das Verbot von gemeinschaftlichen Bewegungsmöglichkeiten gerade auch dem Nachwuchs genommen wurde, hat Folgen. Dazu kommen alltägliche Hektik und Ungeduld auf der einen, ein Überangebot von Fertigprodukten auf der anderen Seite: Stand die Hausfrau früher am Herd, um die Familie zu versorgen, wird heute immer häufiger auf schnelle Alternativen zurückgegriffen. Eine ausgewogene Ernährung aber hat an Bedeutung für die Gesundheit – mit oder ohne viel Bewegung – nicht verloren.

Kevin Matheja, Physiotherapeut mit langjähriger Erfahrung im Spitzensport, erklärt die Hintergründe.

Herr Matheja, Sie sind unter anderem als Ernährungsberater im Sport tätig, haben schon unzählige Spitzenathleten betreut. Wenn Sie eine Aussage zum Thema gesunde Ernährung treffen müssten, welche wäre das?

Kevin Matheja: Ich würde sagen, dass gesunde Ernährung immer etwas ganz Individuelles ist, etwas, das jeder für sich testen und ausprobieren muss, egal, ob im Sport oder im alltäglichen Leben. Eine pauschale Aussage zu diesem Thema gibt es nämlich nicht.

Es gibt aber doch Lebensmittel, die gesünder, und andere, die ungesünder sind?

Kevin Matheja: Klar, das ist natürlich richtig. Dabei würde ich aber nie einzelne Lebensmittel verteufeln. Es kommt in der Regel immer auf die richtige Dosierung an.

Was heißt das genau?

Kevin Matheja: Nehmen wir beispielsweise die Triathleten, die ich betreue. Die gehen morgens im Hotel an das Frühstücksbüffet und können – oder besser sollten  – sich dort in einer Art und Weise auch an allen Süßspeisen bedienen, die ich sonst natürlich keinem so empfehlen würde. Die haben durch ihren Sport aber einen derart hohen Energiebedarf, dass sie ganz extrem aufpassen müssen, dass sie ihr Körpergewicht halten. Das ist wichtig für die Leistungsfähigkeit.

Das sind ja alles Kohlenhydrate. Weshalb ist das für die Triathleten so wichtig?

Kevin Matheja: Ausdauersportler benötigen ein hohes Maß an Kohlenhydraten, um ihren Speicher wieder aufzuladen. Nach 90 Minuten Bewegung ist dieser leer und muss ersetzt werden. Das geht am besten und schnellsten durch Kohlenhydrate. Kraftsportler sollten im Gegensatz dazu vermehrt Proteine zu sich nehmen, da diese den Muskeln als Grundlage zum Wachstum dienen. Dabei ist aber darauf zu achten, welche man wählt: Quark oder Huhn, Hüttenkäse oder Thunfisch sind da gut geeignet. Aber auch ein Kraftsportler braucht Kohlenhydrate.

Wenn man sich viel bewegt, muss dem Körper wieder Energie zugeführt werden. Das leuchtet ein. Aber wann muss das erfolgen? Vor oder nach dem Sport?

Kevin Matheja: Sowohl, als auch. Wobei der Fokus auf der Regeneration liegen sollte. Es ist in der Regel kein Problem, bei kurzen oder mittellangen Einheiten nüchtern zu trainieren, was ja auch viele machen. Aber im Anschluss, wenn die Speicher leer sind, sollte der Sportler unbedingt Nahrung zu sich nehmen, um sie wieder zu füllen. Wer sich gesund und ausgewogen ernährt, kann seinen Körper so bei der Regeneration unterstützen. Das gilt insbesondere für intensiven Kraftsport. Eine ausreichende Proteinzufuhr innerhalb von 30 Minuten nach dem Training hat sich hier als besonders wirkungsvoll bewiesen. Länger als zwei Stunden sollte man damit auf keinen Fall warten.

Und was gilt für Ausdauersportler?

Kevin Matheja: Im Prinzip dasselbe, aber mit einem verstärkten Fokus auf die Kohlenhydrate. Wer eine lange Strecke vor sich hat, muss aber auch vor dem Start etwas gegessen haben – aber bis maximal 30 Minuten vor Beginn, da sonst der Magen zu beschäftigt ist, was die Leistungsfähigkeit mindert. Nudelpartys, wie sie früher im Sport üblich waren, gelten heute aber nicht mehr als empfehlenswert. Das ist für den Körper einfach zu einseitig.

Und was gilt für Getränke?

Kevin Matheja: Grundsätzlich sollte man auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten. Und dabei ist selbst zubereitet besser als fertig gekauft. Ideal sind Fruchtschorlen in einem Verhältnis von 1:3 mit Wasser gemischt, dazu noch etwas Salz, um auch diesen Verlust im Körper wieder ausgleichen zu können.

Nun sind ja nicht alle Menschen Leistungssportler, viele wollen aber gesünder leben und viele auch Gewicht verlieren. Was raten Sie?

Kevin Matheja: Früher galt immer das Motto: Viel Sport treiben und wenig essen. Das ist aber Quatsch. Viel Bewegen und trotzdem essen, müsste es heißen. Wenn der Energiespeicher leer ist, benötigt der Körper Ersatz, und wenn er diesen nicht bekommt, gerät er in eine Art Notstand. In diesem greift der Körper auf die Energiereserven zurück, nicht nur auf die Kohlenhydrat-, sondern auch auf die Eiweißdepots in den Muskeln. Weniger Muskeln bedeuten weniger Kalorienverbrauch – der Grundumsatz sinkt. Um das Gewicht zu halten oder weiter abzunehmen muss dann die Kalorienzufuhr deutlich gesenkt werden. Wenn das nicht beachtet wird, speichert der Körper alle zusätzliche Energie zum Teil als Fettreserve, um bei einer erneuten Nahrungsnotlage gewappnet zu sein. Es kommt zum Jojo-Effekt.

Was ist also Ihr Tipp?

Kevin Matheja: Gesund essen. Das können nach der Bewegung beispielsweise Porridge, Reiswaffeln oder Obst wie Bananen oder Kiwi sein.

Und wenn man sich nun gar nicht bewegt …?

Kevin Matheja: … ist das natürlich ungünstig, aber dennoch kann man seinem Körper Gutes tun. Wer beispielsweise wenig Zeit für eine Mittagspause hat, sollte statt Pizza oder Burger, die arm an Nährstoffen und reich an ungesunden Fetten sind, lieber auf unbehandelte Nüsse und Beeren zurückgreifen. Grundsätzlich gilt: Gesund und vollwertig sind drei Hände Gemüse am Tag und zwei Hände Obst, dazu Vollkornprodukte und Wasser. Zucker und Salz sollte man vermeiden, Alkohol auch. Und das Thema Fette muss neu betrachtet werden, denn die haben doch noch immer ein schlechtes Image, tragen aber als Energielieferant zu guter Ernährung bei, wenn man denn gesunde wählt. Das sind unter anderem Avocado und Eier, Joghurt und Rapsöl.

Es gilt aber trotz allem der Grundsatz: Wer sich viel bewegt, kann auch mehr essen?

Kevin Matheja: Einfach ausgedrückt, aber ja: Sportler haben einen höheren Energieverbrauch als Bewegungsmuffel.

Und wie kann man diese auf Trab bringen?

Kevin Matheja: Durch ganz einfache kleine Dinge, die in den Alltag eingebunden werden können: darunter das alte Beispiel Treppe steigen statt Fahrstuhl nehmen, Rad statt Auto oder die Mittagspause für einen Spaziergang nutzen. Oder einfache Übungen, die ich zu Hause oder am Arbeitsplatz machen kann. Kniebeugen, bei denen ich nur von einem Stuhl aufstehe und mich wieder setze, oder Liegestütze an der Wand. Gut ist auch die Bewegung, bei der ich die Hände zum Boden bringen oder im Vierfüßlerstand abwechselnd einen Katzenbuckel mache und dann wieder ins leichte Hohlkreuz gehe. 15 Minuten am Morgen oder Abend genügen für eine bessere Beweglichkeit.

Sie haben ja mehrere Physiotherapie-Praxen. Spüren Sie dort die Folgen von Corona?

Kevin Matheja: Unbedingt. Besonders erschreckend ist die zunehmende Zahl an Kindern und Jugendlichen, die unglaubliche koordinative Probleme haben. Rückwärtslaufen können ja nur noch wenige, die Wahrnehmung des eigenen Körpers wird als Folge mangelnder Bewegung immer schlechter. Dabei ist es doch das, was uns durchs Leben trägt. Daran muss die Gesellschaft unbedingt wieder arbeiten.

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