Was hier landet, ist noch nicht verendet. Das ist die gute Nachricht. Schlechte gibt es indes genug. Von Tieren, die misshandelt werden, von Tieren, die sich selbst überlassen werden, und von Tieren, die getötet werden, weil sie keinen Nutzen haben, weil niemand sie mehr benötigt, weil sie „überflüssig“ sind. Für Sabine Bracker sind sie das nicht. Sie nimmt sie auf, gibt ihnen ein neues Zuhause und eine helfende, eine fürsorgliche Hand: Der Gnadenhof in Natendorf ist für viele von ihnen die letzte Chance.
Irgendwo im Nirgendwo
Idyllisch liegt das weitläufige Areal am Rande der kleinen Gemeinde im Landkreis Uelzen, irgendwo im Nirgendwo. „Und das ist auch gut so“, sagt die gebürtige Schleswig-Holsteinerin, „so stören wir keinen.“ Seit Oktober 2020 leben dort auf dem sogenannten Fuchsberg rund 90 Vierbeiner der unterschiedlichsten Art und Größe mit den verschiedensten Charakteren und Problemen und einer ausschlaggebenden Gemeinsamkeit: Sie sind nicht mehr vermittelbar.
Frederick, Jim Knopf und Lotte
Da ist beispielsweise der Keiler Frederick, der nach einem Jagdunfall als Frischling vor fünf Jahren hier sein Zuhause fand. „Der ist schon sehr speziell“, erklärt Sabine Bracker, „zudem sehr intelligent und interessant, aber auch zahm und verschmust.“ Andere Schweine findet Frederick doof, deshalb lebt er auch lieber mit den Kühen und Ziegen zusammen. Die Kühe heißen Jim Knopf und Lotte und sind, wie alle anderen Bewohner des Gnadenhofs, einem schlimmen Schicksal entkommen. „Der Mäster wollte sie als Kälber nicht nehmen, da sie nicht ganz gesund waren und Tierarztkosten verursacht hätten. Man hätte sie wohl verenden lassen“, erzählt die gelernte Fotolaborantin. „Nun sind sie bei mir und werden umfassend versorgt.“ Und bei Frederick: Eine Kuh nimmt er zum Spielen, eine zum Kuscheln. Eine gute Symbiose.
Hunde aus Rumänien
Die sind auch viele der insgesamt 25 Hunde eingegangen, leben gemeinsam auf dem Hof. Einige Neuzugänge befinden sich noch in einem abgetrennten Bereich in der kühlen Scheune, darunter auch schwer traumatisierte – allein zehn Hunde hat Sabine Bracker aus Rumänien aufgenommen, obwohl das eigentlich nicht zu ihrem Engagement gehört: „Meist sind es Veterinärämter, manchmal die Polizei, am häufigsten aber die Tierheime und Tierärzte, die mich kontaktieren“, sagt sie. Bei den rumänischen Hunden war das anders: „Das ist mein Beitrag zur Hilfe im Ukraine-Krieg, denn mir war klar, dass da ganz viele aus den umkämpften Gebieten in den Nachbarstaaten landen und dort festsitzen. Und so gibt es da wieder ein klein bisschen mehr Platz.“
Rückläufige Spendenbereitschaft durch Pandemie
Platz, das ist das, was in Natendorf vorhanden ist, zumindest mehr als in Wolfenbüttel. Dort war der Ursprung des gemeinnützigen Vereins für misshandelte Tiere, den Sabine Bracker gegründet hat und der hinter dem Gnadenhof steht, denn dort hat sie für längere Zeit gelebt. „Zum einen aber hatte ich ein wenig Heimweh“, sagt die in Bad Bodenteich aufgewachsene Tierschützerin, „zum anderen kam die Pandemie.“ Und mit ihr die Probleme. Die Spendenbereitschaft ging zurück, und das brachte das Projekt an den Rand der Existenz: „Denn letztlich finanziere ich alles Futter und alle Tierarztbesuche nur aus diesen.“ Grünland aber war rar in Wolfenbüttel, sie suchte nach einem neuen Standort mit viel Fläche und viel Weide. Das Hofgrundstück, das dem Verein auf lange Zeit zur Verfügung steht, ist für Sabine Bracker ein echter Glücksgriff. Ein ebensolcher für sie wie für ihre Tiere.
Schon immer engagiert
Schon als Jugendliche hatte sie sich für jene Lebewesen engagiert, mit denen es die Natur nicht ganz so gut gemeint hat, die den Ansprüchen nicht genügten, die nicht benötigt wurden. „Da gab es zum Beispiel dieses kleine Bullenkalb, das blind zur Welt gekommen war“, erinnert sie sich, „das habe ich vor dem Tod gerettet, habe es gepflegt und bin später sogar auf ihm durch die Gegend geritten.“ Das hatte Folgen: „Mit dieser Nummer habe ich es bis in die Rate-Show zu Rudi Carell und in einige Tierzeitschriften geschafft“, sagt sie und lacht.
In ihrem Umfeld stieß sie indes nicht immer auf Verständnis. „Ich war immer schon das schwarze Schaf in der Familie“, glaubt sie, „bin irgendwie etwas aus der Art geschlagen.“ Ihre Eltern hatten einen Hof – der Bezug zu Tieren war ihr in die Wiege gelegt. „Aber die extreme Empathie für sie habe in dieser Ausprägung nur ich entwickelt. Schon als Kind, von Anfang an.“ Mit 16 hörte sie deshalb auf, Fleisch zu essen, hängte später auch schnell die Berufsreiterei an den Nagel: „Ich habe feststellen müssen, wie hoch im Leistungsbereich der Stellenwert des Pferdes als Sportgerät, aber nicht als Seele ist. Das war nicht meins.“
Kaum Platz auf der kleinen Schutzinsel
Die Erfahrungen mit den edlen Vierbeinern kommen ihr aber heute noch zugute, die Leidenschaft für sie ist ungebremst: „Da muss ich mich aber zügeln“, sagt sie ein wenig traurig, „ich kann ja nicht alle aufnehmen.“ Denn letztlich ist kaum noch Platz frei auf dieser kleinen Schutzinsel am Rande der Zivilisation, wo Kühe, Schafe, Ziegen und Hunde, Katzen, Vögel, Pferde und Esel sowie eine Menge großer und auch kleiner Schweine ihr Zuhause haben. Minischweine.
Vier Tiere hatte Sabine Bracker aus einer Beschlagnahmung bekommen, „die haben beim Vorbesitzer drei Monate lang von ihrem eigenen Kot gelebt, die waren nur noch Haut und Knochen“. Das hat sich mittlerweile geändert – und ihre Anzahl auch: „Nach acht Wochen kamen 16 muntere Ferkel zur Welt“, erzählt sie amüsiert, „das war vorher nicht zu erkennen.“ Deren Haltung sei mittlerweile durch die Seuchenschutzhaltung recht kompliziert und daher kostspielig. „Eine Abgabe an private Hände ist da meist nicht von langer Dauer.“ Deshalb bleiben die Tiere zusammen auf dem Gnadenhof. Doch das frisst Geld.
Alles wird teurer
Die Finanzen – sie sind das größte Problem der engagierten Tierschützerin, denn die Spenden werden weniger. „Die Leute halten ihr Geld heute verständlicherweise einfach mehr zusammen“, weiß sie, „erst kam Corona, jetzt noch der Krieg, und keiner weiß, wie sich die Energiekosten entwickeln. Das verunsichert.“ Doch auch auf dem Gnadenhof wird alles teurer – die Lücke klafft. Viel Spielraum bleibt da nicht. Viel Zeit für sich selbst genauso wenig: „Ich arbeite bis zu 15 Stunde am Tag, habe seit 15 Jahren keinen Urlaub mehr gemacht. Das zehrt.“
Zum Glück hat sie mittlerweile aber wieder einen Helfer. Der kommt von der Einrichtung Leben leben in Uelzen und war bereits auf dem Anwesen in Wolfenbüttel aktiv. „Es hat einige Zeit gedauert, bis auch er hierherziehen konnte“, sagt Sabine Bracker, „doch die Tiere haben ihm sehr gefehlt.“ Das sei ihm auf die Psyche geschlagen, er habe dann auch körperlich gelitten.“ Nun ist er wieder in seinem bekannten Umfeld angekommen und fühlt sich wieder wohl: „Dieser Hof ist eben eine Insel für Tiere und einige wenige Menschen, die anderswo nicht klarkommen. Und das tut allen gut.“
So können Sie helfen – Futter- und Tierarztkosten sichern
» Die Kontaktdaten zum Verein finden Interessierte unter www.gnadenhof-niedersachsen.de oder bei Facebook unter Verein für misshandelte Tiere e.V. Sabine Bracker erklärt Ihnen auch, wie Sie eine Tierpatenschaft übernehmen können.
» Wer für den Verein misshandelte Tiere e.V. spenden möchte, nutzt dazu bitte folgende Kontoverbindung:
Volksbank Wolfenbüttel-Salzgitter, IBAN: DE57 2709 2555 5018 7970 00, BIC GENODEF1WFV