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Voll verständigt

von Ute Lühr
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Den Namen und die Lage der 16 deutschen Bundesländer inklusive ihrer Hauptstädte kannte Anh Thu Pham im Detail. Einen Menschen, der in irgendeinem dieser lebt, nicht. Das wollte sie ändern. Der Zufall brachte sie auf die Internetseite des One World, ein kurzes Bewerbungsschreiben das internationale Kulturzentrum in Reinstorf mit seiner aufgeschlossenen Jahrespraktikantin aus Vietnam zusammen: ein enormer Gewinn für beide Seiten. 

Förderung des Völkerverständigungsgedankens

„Es ist das erste Mal, dass wir eine derartige Stelle über das SCI, einer internationalen Nichtregierungsorganisation, angeboten haben“, erklärt Yvonne Blum, Geschäftsführerin und Restaurantleiterin des One World, die abgesehen davon aber schon viel Erfahrung mit ausländischen jungen Menschen hat: „Denn letztlich bilden wir schon länger Nachwuchs aus vielen Teilen der Welt in unserer Gastronomie aus.“ Kein Wunder, hat sich der Verein um Jens Thomsen, der hinter dem Kulturzentrum steht, doch primär die Förderung des Völkerverständigungsgedankens auf die Fahnen geschrieben – ein Ansatz, den auch Anh Thu Pham verfolgt.

Praktisches Verständnis

Eigentlich wollte die 20-Jährige Journalismus studieren, die Noten reichten aber nicht ganz aus, deshalb orientierte sie sich um: „Durch Zufall bin ich auf Deutsche Literatur gestoßen“, sagt sie, „und habe das vor zwei Jahren an der University of Social Sciences and Humanities in meiner Heimatstadt Ho-Chi-Minh-Stadt begonnen.“ Viel Theorie sei das, erklärt die Vietnamesin – abstrakte, wissenschaftliche Arbeit, die durch Corona noch verstärkt wurde. Sie brauchte eine Auszeit. Und praktisches Verständnis. Für beides schien ein Auslandsaufenthalt ideal. Das sieht auch Yvonne Blum so.

Bessere Verständigung

„Es ist doch eben was ganz anderes, wenn man eine Sprache und einen Kulturraum nur aus den Büchern lernt oder ihn in der Realität ergründet“, sagt die Geschäftsführerin, die aus eigener Erfahrung spricht: 15 Jahre lang hat sie mit ihrer Familie in Neuseeland gelebt, dort nicht nur die Menschen kennen- und schätzen gelernt, sondern auch gleichzeitig ihr Englisch optimiert. Das kam ihr nun auch im Umgang mit der neuen Praktikantin zugute: „Wir konnten uns damit anfangs einfach besser verständigen.“ Das hat beiden geholfen und den Start erleichtert. 

Förderung des internationalen Dialogs

Der war für Anh Thu Pham doch eine Herausforderung. „Als ich hier im vergangenen Oktober angefangen habe, war ich ziemlich nervös“, sagt sie rückblickend und lächelt, „es war eben alles neu und voller Überraschungen und sprachlich noch etwas schwierig.“ Auch deshalb hat sie zunächst in der Küche geholfen, ist mittlerweile aber zudem im Service und Veranstaltungsmanagement eingesetzt – eine Arbeit, die ihr liegt: „Die Menschen in Deutschland sind sehr nett, überaus ordentlich und gar nicht aggressiv“, hat sie festgestellt, „das macht mir sehr viel Spaß.“

Spaß hat auch Yvonne Blum: „Anh Thu ist eine wirkliche Bereicherung für uns“, sagt sie, „und das ganze Programm ein weiterer toller Baustein unseres Konzepts, den internationalen Dialog zu fördern.“ Junge Menschen belebten die Atmosphäre auf eine ganz besondere Art und Weise, ihre Integration zu unterstützen und zu verfolgen, sei eine wunderbare Sache – und auch im Fall der 20-Jährigen gelungen: „Es ist sehr harmonisch mit ihr, sie versteht sich mit allen gut.“ Das gilt auch für die Gastfamilie.

Gastfamilie hat viel mit ihr unternommen

Die wohnt in Barendorf und umfasst neben den Eltern zwei erwachsene Söhne. „Ich wurde ganz toll aufgenommen und fühle mich dort sehr wohl“, sagt Anh Thu Pham. Denn die Übergangsfamilie hat nicht nur Interesse an ihrer neuen Tochter und deren vietnamesischen Heimat, sondern auch Spaß daran, ihr die eigene zu präsentieren: „Wir waren viel in Norddeutschland unterwegs“, sagt die 20-Jährige, „und haben auch kulturell viel unternommen.“ Einige Reisen hat sie aber auch allein oder mit einer Freundin aus Göttingen gemacht, war in Österreich und Tschechien. Höhepunkt aller Erlebnisse, klarer Fall: „Schloss Neuschwanstein“, sagt sie und lacht.

Andere Länder, andere Kulturen – und andere Speisen. Anh Thu Pham ist allem gegenüber aufgeschlossen, das hat auch Yvonne Blum beobachtet: „Egal, was gegessen wird, sie probiert alles“, sagt sie augenzwinkernd, „und das finde ich auch gut.“ So habe sie bereits Saumagen und Klöße getestet, Frikadellen gekostet und natürlich auch Sauerkraut und Bratwurst kennengelernt – wirklich durchgefallen ist da nichts. Ganz im Gegenteil.

Die deutsche Kultur hat es ihr angetan

„Mir schmeckt alles prima“, sagt die Studentin, „sogar das Frühstück.“ Während in ihrer Heimat immer Warmes auf dem Tisch stehe, es am Morgen auch mal eine Nudelsuppe sein dürfe, habe sie aber auch ein Brötchen mit Marmelade schätzen gelernt. Das sei eben auch ein Teil der deutschen Kultur, und die würde ihr einfach gut gefallen – so gut, dass sie auch einen weiteren Abschnitt ihres Lebens hier verbringen möchte: „Ich würde sehr gerne eine Ausbildung im Bereich E-Commerce bei der Landeszeitung machen“, sagt sie. Beworben hat sie sich bereits.

Sollte das klappen, wäre aber nicht nur Anh Thu Pham begeistert, sondern auch Yvonne Blum glücklich: „Zum einen würde es mich für sie natürlich sehr freuen“, sagt die One World-Geschäftsführerin, „zum anderen aber auch für mich, denn dann würde sie auch weiterhin in der Gegend bleiben.“ Mitte September ist das Praktikum vorbei, dann fährt die junge Vietnamesin mit ihrer Gastfamilie noch für ein paar Wochen nach Polen. Wie ihr Weg dann weitergeht, wird sich zeigen. Das One World zumindest hat sie von der Sinnhaftigkeit eines Jahrespraktikums überzeugt: Im Herbst kommen drei neue jungen Menschen aus Thailand und Kambodscha. 

Gastfamilien gesucht

Für die neuen Jahrespraktikanten des One World in Reinstorf – zwei aus Kambodscha und einer aus Thailand – sucht der Service Civil International (SCI), die internationale Nichtregierungsorganisation, über die das Programm organisiert wird, noch Gastfamilien in der Region. Wer Interesse hat, einen jungen Menschen bei sich aufzunehmen, melde sich bitte bei Laura Wille vom deutschen Zweig des SCI e.V., Blücherstraße 14, 53115 Bonn, unter Tel.: 0228 212087 oder Mail: . Bürozeiten: Montag bis Donnerstag, 9.30 bis 18 Uhr. Weitere Informationen auch unter www.sci-d.de

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