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Seelengefährten

von Cécile Amend
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Die Tierfutterhilfe ermöglicht Bedürftigen, ihre Haustiere zu versorgen und behalten. Thorben Gutknecht steht vor der Garage auf dem Gelände der Herberge Plus in der Lüneburger Altstadt und raucht. Drinnen wühlt Anke Kautz in den engen Gängen zwischen den dicht bepackten Regalen. „Sieht heute etwas wild hier aus, wir hatten am Wochenende eine Großspende“, begrüßt sie mich und schaltet den Wasserkocher für den Kaffee an.

Retter im Ehrenamt

Draußen treffen die Ehrenamtlichen zum Arbeitsbeginn ein. Zwischen allen hin und her, aber nie weit weg von ihrem Herrchen, wuselt nicht mal kniehoch Fräulein Rumpel: „Eine Mischung aus Labrador, Dackel und Terrier“, erklärt mir Thorben Gutknecht. „Und Flummi“, ergänzt Anke Kautz mit einem Grinsen. Der „Flummi“ geht Susann Körner gerade gewaltig auf den Keks. Die Ehrenamtliche will Tassen, Löffel, Gebäck, löslichen Kaffee und Tee für die kleine Kaffeetafel nach draußen schaffen. Flummi kommt ihr dabei in die Quere. „Kannst Du ihn nicht mal anleinen?“ „Klar.“ Jetzt nervt Flummi nicht mehr dadurch, ständig im Weg zu sein, sondern durch leidenschaftliches und ausdauerndes Winseln. Aber wirklich übel nimmt ihr das hier keiner. Denn Fräulein „Flummi“ Rumpel ist der Grund, warum Thorben Gutknecht zur Lüneburger Tierfutterhilfe gefunden und diese mit ihm einen weiteren freiwilligen Mitarbeiter gewonnen hat. Win win. Für Thorben Gutknecht, der Hartz-IV empfängt und seit Jahren unter Depressionen leidet, bedeutet Rumpel allerdings um vieles mehr: „Sie ist die beste Entscheidung, die ich in meinem Leben getroffen habe. Seit ich sie habe, geht es mir um 200 Prozent besser.“ Und die Tierfutterhilfe freut sich über jede helfende Hand, hat sie derzeit – ausgelöst durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg – mit vielen Problemen zu kämpfen.

Langjährige Unterstützung

Die Tierfutterhilfe Lüneburg bietet seit 2009 Tierbesitzern Hilfe zur Selbsthilfe. Bis 2012 arbeitete sie unter dem Dach des bundesweit aktiven Vereins Tiertafel Deutschland e.V. „Als dieser ein unrühmliches Ende fand, weil ein Mitglied in die Kasse gegriffen hatte und verurteilt wurde, ging die Einrichtung im Tierschutzverein Lüneburg u.U. von 1908 e.V. auf“, berichtet Leiterin Anke Kautz. Das ehrenamtliche Personal blieb, ist aber heute im wohlverdienten Ruhestand. Das aktuelle Team umfasst fünf Freiwillige. Sie versorgen aktuell 72 Kunden mit 55 Hunden und Katzen, einem Meerschweinchen, sieben Kaninchen und gut 40 Ziervögeln. Exoten können wegen ihrer speziellen Gewohnheiten nicht berücksichtigt werden.

Helfer in Not

Bedürftige erhalten hier Beim Benedikt 11 a immer dienstags zwischen 11 und 13 Uhr Futter für ihr Haustier. Vom so ersparten Geld können sie Kosten für Impfungen, Wurmkuren und Zeckenmittel ansparen. Verteilt werden ausschließlich Futterspenden von Privatleuten und örtlichen Händlern. Die Bedürftigkeit der Empfänger muss belegt sein und wird regelmäßig geprüft. Zur Aufnahme in die Kartei brauchen Betroffene ein Ausweisdokument, einen gültigen Leistungsbescheid einer Lüneburger Sozialbehörde oder des Arbeitsamtes. Für die Tiere müssen geeignete Nachweise vorgelegt werden wie Impfpässe oder Tierarztrechnungen neueren Datums. Unterstützt werden maximal zwei Tiere einer Art pro Haushalt, aber keine Welpen oder Kitten. „Damit sollen eine unüberlegte Anschaffung oder Animal Hoarding (engl. für Tiersammelsucht) vermieden werden“, so Anke Kautz. Mit Geldspenden kauft das Team spezielle auf Krankheiten abgestimmte Futtersorten dazu, wenn es notwendig ist. Auch werden unter bestimmten Voraussetzungen tiermedizinische Behandlungen in engem Rahmen bezuschusst.

Treuste Begleiter des Menschen

Ziel der Futterhilfe ist es zum einen, die Abgabe von Tieren zu vermeiden und so das Tierheim zu entlasten, zum anderen, eh schon benachteiligte Menschen psychisch zu unterstützen, denn: „Für bedürftige Menschen, die oft niemanden haben, ist das Tier vielfach nicht nur Familienersatz, sondern der einzige Grund, das Haus zu verlassen. Das Haustier trägt somit zur psychischen Gesunderhaltung immens bei. Besonders deutlich wurde dieser Effekt durch die Kontaktbeschränkungen während der Pandemie, als Sozialkontakte aus Arztbesuchen oder Einkaufen bestanden, soweit man nicht systemrelevant erwerbstätig war“, erläutert Anke Kautz.

Das hat auch Thorben Gutknecht so erfahren. Seit rund zwei Jahren empfängt er Hartz-IV. Lange überlegt er hin und her, ob ein Hund für ihn infrage kommt. Irgendwann wird der Wunsch übermächtig. „Ich wollte mir eine Aufgabe geben“, beschreibt der gelernte Schriftsetzer seine damalige Motivation. Im August 2021 schließlich kommt Rumpel in sein Leben, die er über Ebay bei einem Hamburger Inserenten findet. Ein Volltreffer: „Ich habe Glück, dass ich ein so freundliches Wesen erwischt habe.“ Seither geht nichts mehr ohne den kleinen Flummi, der sein Leben vollkommen auf den Kopf gestellt hat. „Sie hat alles verändert. Ich bin aktiver geworden, muss ja immer raus gehen. Ich trage für sie die Verantwortung – und dadurch auch für mich selbst wieder mehr. Aber das Geld ist natürlich an allen Ecken und Enden knapp.“ Gutknecht kämpft mit sich und ringt sich irgendwann durch, die Lüneburger Tafel aufzusuchen: „Das war nicht leicht für mich, weil man sich ja damit eingesteht, dass man es nicht alleine schafft.“ Doch lenkt ihn dieser Schritt schlussendlich zur Lüneburger Tiertafel, von der ihm ein anderer Hundebesitzer bei der Humantafel erzählt. „Und da ich ein Problem damit habe, einfach nur zu nehmen und nichts zu geben, habe ich gefragt, ob ich helfen kann.“ Er kann, kümmert sich seither um die Kaffeetafel, die dienstags vor der Garage aufgebaut wird, damit die Empfänger hier einen kleinen Klönschnack halten können, lädt die Transporte ab, trägt für die Damen die schweren Pakete und besorgt das Wasser für Tee und Kaffee, den einen Wasseranschluss hat die Garage nicht. Kautz und ihre Mitstreiterinnen freuen sich über jede helfende Hand, sehen sie sich aktuell mit einigen Schwierigkeiten konfrontiert. So beobachtet Anke Kautz eine Veränderung des Kundenklientels, die sie auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten zurückführt: „Ursprünglich kamen nahezu alle Kunden aus dem Dunstkreis der Herberge Plus. Obdachlosigkeit und Suchtkrankheit spielen heute aber nur noch eine untergeordnete Rolle. Heute sind es Frührentner, die erwerbsunfähig sind aufgrund einer Erkrankung und daher aufstocken. Bei den Altersrentnern dürfte es eine hohe Dunkelziffer geben, da die Scham in dieser Altergruppe sehr groß ist. Auch kam ein Schwung Alleinerziehende hinzu.“

Folgen der Pandemie

Probleme bereitet der Tierfutterhilfe auch die Beschaffungskrise bei den fleischlastigen Futterarten für Hunde und Katzen. „Durch die Pandemie und später den Ukrainekrieg mit der nun folgenden Energieknappheit gibt es insgesamt weniger Futter. Die Regale sind nicht mehr so voll wie vor Jahren, weil im Handel anders kalkuliert wird. Durch unterbrochene Lieferketten und veränderte Zutaten entstanden bereits Teuerungen. Manche Sorten werden ganz aus dem Programm genommen, wenn der Kostenrahmen beim Hersteller gesprengt wird. Das ist ein Problem beim Diätfutter für kranke Tiere, weil Alternativen erst gefunden werden müssen.“

Erschwerend hinzu käme, dass viele Dosenwerke in Deutschland und Europa geschlossen wurden. „Das Blech wird anderweitig verarbeitet. Deshalb wird in Aluschälchen und Folienbeutel verpackt. Davon muss ein Tierbesitzer aber entsprechend mehr kaufen, weil die Einheiten kleiner sind“, erklärt Kautz. Auch verbrauche die Produktion von Trockenfutter besonders viel Energie. Es wird als Fleischbrei in Öfen getrocknet, um es haltbar zu machen. „Die Folgen für Produzenten sind noch nicht absehbar“, fasst Kautz ihre Befürchtungen in Worte.

Gemeinsam geht alles besser. Darum haben sich die norddeutschen Tiertafeln jüngst in Lübeck zu einem ersten Austausch getroffen. Konsens: Ein Preiskampf wird erwartet. Nur wer bereit ist, die steigenden Preise bei Großhändlern zu zahlen, wird die Ware bekommen. Kautz: „Die Bereitschaft, Spenden generell zu leisten, wird zwangsläufig abnehmen. Spürbar ist das bereits jetzt, im gesamten örtlichen Tierschutz.“

So können Sie helfen

Ehrenamtliche sind jederzeit willkommen, einfach dienstags zwischen 11 und 13 Uhr auf dem Gelände der Herberge Plus, Beim Benedikt 11a, in Lüneburg vorbeikommen. Die Tierfutterhilfe hat ein eigenes Spendenkonto bei der Sparkasse Lüneburg: IBAN DE71 2405 0110 0065 8377 67. 

Gespendet werden kann auch via Paypal: . Zudem freut sich das Team über Tierpaten. Ab 2023 soll das von den Graffiti-Künstlern von „Dosenfutter“ gestaltete Graffiti vom Logo der Einrichtung als Printartikel vermarktet werden. Die Zusammenarbeit mit weiteren Künstler:innen der Region ist geplant und gewünscht. Interessierte Kreative melden sich gern vorzugsweise per E-Mail (s. o.).

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