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Inspiration. Austausch. Netzwerk.

von Gastautor

Von Autorin Carolin George

Mit „Utopia“, dem neuen Gründungszentrum für soziale und nachhaltige Unternehmen, wächst die Katzenstraße weiter heran zu Lüneburgs Lunge der Sinnoptimierung. Wer es geschafft hat, fliegt raus. Das mag hart klingen, ist es aber gar nicht. Denn wer es geschafft hat, mit der eigenen Idee ein Unternehmen zu gründen, das funktioniert, braucht in der Regel mehr Platz und weniger Unterstützung als ein Gründerzentrum bereithält.
Wo bis zum Frühjahr das Lüneburger Jugendzentrum untergebracht war, hängt jetzt ein Plakat am Bauzaun, und drinnen sind die Handwerker am Werk. Die Stadt bekommt eine neue Anlaufstelle für Menschen, die sich selbstständig machen wollen: Das „Utopia“ öffnet seine Türen für soziale und nachhaltige Unternehmen. Und die Katzenstraße wird Lüneburgs Lunge für das etwas andere Leben.

Es sind drei Menschen, die unabhängig voneinander die Idee hatten, dass Lüneburg ein Gründerzentrum für soziale und nachhaltige Unternehmen braucht: Corinna Krome, Kerstin Blumberg und Martin Auer.
Corinna Krome ist mit Kopf und Tat am längsten dabei: Seit sechs Jahren arbeitet die Unternehmerin daran, das sogenannte Social Impact Lab aufzubauen. Krome hatte 2014 das Eckhaus Katzenstraße/Neue Sülze erworben, um dort 2018 das „Mosaique“ zu eröffnen, ein Zentrum für Begegnung, Ideenaustausch und Ehrenamtsberatung sowie Veranstaltungen von Sprachkursen über Theater und Lesungen bis zu Tanz und Konzert.

Ein Treffpunkt für Unternehmer 

Doch die gebürtige Lüneburgerin, die nach Politikstudium und Promotion neun Jahre in Frankreich lebte, träumte weiter: bis zu einem Treffpunkt für Unternehmer, Gründer und Menschen aller Art, die sozial und nachhaltig wirtschaften wollen. „Das erste Mal kam mir 2016 die Idee“, erzählt die 36-Jährige. Schon vor Jahren wandte sie sich daher an die Stadtverwaltung mit der Bitte, sich doch bei ihr zu melden, wenn das Nachbargebäude zum Verkauf steht.
Der Coup gelang – und vor einem Jahr lernte sie noch dazu zwei Menschen kennen, die in eine ganz ähnliche Richtung denken wie sie. Die drei taten sich zusammen. Kerstin Blumberg, gebürtig aus der Lüneburger Heide, hat Verlagskauffrau gelernt und Medienmanagement studiert, arbeitete einige Jahre in Berlin und Hamburg, unter anderem als Innovationsmanagerin. Sie kam dabei in Kontakt mit dem Social Impact Lab Berlin und dem Impact Hub Hamburg. „Ich tauchte ein in die Welt des Social Entrepreneurship und war davon begeistert.“ Als sie 2019 nach Mechtersen zog, suchte sie in Lüneburg nach einem Ort für soziales Unternehmertum, und wunderte sich, dass es den nicht gab. „Dann muss ich wohl selbst einen schaffen, dachte ich mir.“

Das „Utopia“

Martin Auer (22), gelernter Industriemechaniker aus der Nähe von München, studiert an der Leuphana Universität Lüneburg International Business Administration and Entrepreneurship. „In einer Vorlesung hat Corinna ihre Idee vorgestellt, ich war sofort Feuer und Flamme.“ Seit einem Jahr nun arbeiten sie zu dritt an „Utopia“. „Wir wollen sozialen und ökologischen Unternehmen und Initiativen Raum geben“, sagt Corinna Krome. „Wir hoffen, dass sie sich gegenseitig inspirieren und dadurch Schneeballeffekte entstehen.“
Im Keller entsteht ein „Maker-Space“, also Platz um Dinge zu machen oder herzustellen, im Erdgeschoss gibt es eine Gemeinschaftsküche sowie einen Raum mit Bühne für Veranstaltungen aller Art. Im ersten Stock entstehen 25 Plätze für Co-Working, die Schreibtische sind tage-, monats- oder jahresweise zu mieten. Und ganz oben wird es drei Büros geben für Gründer, die einen festen eigenen Raum brauchen. „Wer es dorthin geschafft hat, fliegt nach drei Jahren raus“, sagt Kerstin Blumberg (39) und lacht. „Wir hoffen natürlich, dass manche schon eher gehen: weil sie mehr Fläche benötigen zum Beispiel.“ „Utopia“ wird eng zusammenarbeiten mit der Leuphana Universität Lüneburg, der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg, der Lüneburger Wirtschaftsförderung, dem Co-Working-Anbieter „Freiraum“ Lüneburg UG, dem Gründerzentrum „E.novum“ sowie dem Gründerprogramm „Holistic Impact Incubator“ (HOLII). Weitere Netzwerkpartner sind herzlich willkommen. Die ersten Interessenten gibt es, „wir kuratieren zurzeit, wer gut zusammenpassen könnte“, sagt Martin Auer. Bei der Auswahl fester Mieterinnen und Mieter orientieren sich die drei an den Zielen für nachhaltige Entwicklung der UN Sustainability Goals. Gefördert wird das Gründerzentrum für nachhaltige Unternehmen aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).

Foto: nh/tonwert21.de

In guter Nachbarschaft 

Das neue Gründerzentrum fügt sich so organisch in seine Nachbarschaft ein, wie es wohl an keinem anderen Ort in Lüneburg möglich gewesen wäre. Mit dem „Mosaique“ gleich nebenan ist in den vergangenen Jahren ein Raum entstanden, wie er in Intention und Vielfalt einmalig ist in Lüneburg. Das „Anna und Arthur“, Café und Projekt gleichzeitig, ist Ort für linke Politik und Veranstaltungen diverser Art vom thematischen Kneipenabend über Konzerte, Vorträge und Diskussionen bis zur „Solidarischen Küche“, einem wöchentlichen warmen Essen gegen Spende. Und das Heinrich-Böll-Haus schräg gegenüber ist das Zuhause etlicher Initiativen, Menschenrechts- und Umweltorganisationen. Träger ist der Verein „Unsere Welt für Frieden, Umwelt, Gerechtigkeit“ e. V., er betreibt das Haus als „umwelt-, entwicklungs- und sozialpolitisches Informations-, Kommunikations- und Aktionszentrum“. Selbst im Laden und im Café unten ist dort etwas anders als in anderen Geschäften und Gastronomiebetrieben: Das Betreiberteam des „Avenir“ geht seit Gründung der FairFive GmbH im Jahr 2014 andere wirtschaftliche Wege als denjenigen der Gewinnmaximierung. Die Geschäftsführung versteht sich als Kollektiv, Entscheidungen werden ausschließlich gemeinsam getroffen. Alle Mitarbeitenden bekommen denselben Stundensatz. Ob Koch, Köchin, Kellner, Kellnerin, Kassenkraft, Kloputzdienst oder Geschäftsführung. Gewinne werden nicht ausgeschüttet, sondern, wenn möglich, in höhere Stundenlöhne oder mehr Urlaubstage gesteckt.

Expansion für eine alternative Wirtschaft

Erst im Oktober hat sich die Geschäftsführung von vier Köpfen auf elf vergrößert. „Alle, die an der Wertschöpfung beteiligt sind, sollen an der Wertschöpfung beteiligt werden“, sagt Kollektivmitglied Kristin Jordan (35). Sie studierte Angewandte Kulturwissenschaften, als sie die erste eigene unternehmerische und zugleich persönlich-gesellschaftliche Entscheidung traf: Die Wahl-Lüneburgerin gründete Lünebohne e.V., einen Verein, der fair gehandelten Kaffee mit regionaler Identität verbinden sollte. Ihn gab es bereits im „Eine-Welt-Laden“ von Ullrich Hellfritz zu kaufen, bevor dort das „Avenir“ entstand.
„Wir wollen die kapitalistischen Paradigmen von Profitmaximierung auf Kosten von Mensch und Umwelt sowie von persönlicher Bereicherung überwinden“, heißt es in den Leitlinien des „Avenir“. „Dafür wollen wir im Sinne einer sozial-ökologisch nachhaltigen Vision von Wirtschaften alternative Strukturen leben, die zum Wohlergehen aller* und dem Erhalt einer lebenswerten Umwelt beitragen.“
Und hätten es die Avenirs nicht bereits geschafft, dann würden sie wohl zu den Gründern zählen, die schräg gegenüber an neuen Ideen für anderes Leben arbeiten.

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