Die Wildtierhilfe Lüneburger Heide kümmert sich um verletzte, vernachlässigte und ausgesetzte Tiere. Wenn wir neu beginnnen, ist dem nicht selten eine negative Erfahrung vorausgegangen. Das ist im Tierreich nicht anders. Und Schuld ist oft der Mensch. Der Stockente hat jemand mit einer Schere oder einem Messer die Flugfedern am rechten Flügel ausgeschnitten und sie anschließend wieder freigelassen, wissentlich, dass der Vogel in diesem Zustand keine Möglichkeit hätte, zu fliehen, wenn ein Beutegreifer ihn jagen würde. In einem Karton auf einem Rastplatz findet eine Spaziergängerin zwei junge Zwergkaninchen, ausgesetzt und auf sich allein gestellt. Eine Amsel verfängt sich in einem Meisenknödelnetz, Hals und Flügel eingeschnürt. Wäre sie nicht gefunden worden, wäre sie elendig erstickt. Neben den Bahngleisen sitzt eine Waldohreule mit einem offenen Flügelbruch. Die Art der Verletzung und der Fundort legen nahe, dass sie von einem Zug erfasst wurde. Fälle wie diese landen Tag für Tag in der Wildtierhilfe Lüneburger Heide e. V., sozusagen der Zentrale für tierische Neuanfänge.
Ein Herz für Tiere
Die Gründung der Wildtierhilfe geht auf eine Privatinitiative von Christian und Diana Erdmann zurück. Diana Erdmann, wie sie sagt groß geworden in einem tierischen Durchschnittshaushalt mit Hund, Katze und Wellensittich („es begann mit einem Hamster“), ist eigentlich im Architekturstudium, als sie im Wald eine kleine verletzte Eule findet – ein Erlebnis, das ihr Leben in ganz neue Bahnen lenkt. „Ich habe damals alles falsch gemacht beim Aufziehen“, erinnert sich die Stationsleiterin. In der Sorge, das kleine Wesen nicht durchbringen zu können, wendet sie sich an die Spezialisten der Vogelpflegestation Gut Düendorf in der Nähe von Hannover. Der Austausch verläuft beidseitig. Erdmann bekommt Tipps für die Eulenaufzucht, sie selbst kann in Planungs- und architektonischen Fragen weiterhelfen. Die Arbeit mit den Tieren fasziniert die junge Frau dermaßen, dass sie „hängen bleibt“ und einen eigenen Verein gründet: die Wildtierhilfe Lüneburger Heide. 2500 Fund- und Wildtiere werden hier jährlich abgegeben, von den 2000 Wildtieren können rund 60 bis 65 Prozent nach der Rehabilitation erfolgreich wieder ausgewildert werden. Und zahlreiche Findlinge werden von den Mitarbeitern in neue Hände weitervermittelt. Viele aber auch nicht, manche verbringen hier den Rest ihres Lebens.


Auffangstation Emhof bei Soltau
Die Station ist mittlerweile Träger einer vom Land Niedersachsen anerkannten und geförderten Auffangstation für wildlebende und exotische Tiere. Und seit 2012 außerdem für die Fundtierversorgung im nördlichen Heidekreis zuständig. Auf dem Emhof bei Soltau finden verwaiste, verletzte oder ausgesetzte Tiere ein neues Zuhause auf Zeit und erfahren professionelle Pflege und liebevolle Zuwendung. Die 12 festen und 15 freiwilligen Mitarbeiter beraten Menschen, die ein hilfloses Tier gefunden haben und nicht wissen, wie sie helfen können. Denn immer wieder kommt es vor, dass gesunde Jungtiere aufgesammelt werden, weil sie den Menschen hilfsbedürftig erscheinen, es aber gar nicht sind. Der Appell: Wer ein vermeintlich verletztes oder verwaistes Tier gefunden hat, sollte bei fachkundigen Stellen um Rat fragen, bevor der sich des Findlings annimmt. Die Wildtierhilfe nimmt zudem illegal ins Land gekommene exotische Tiere auf wie beispielsweise Schildkröten, Schlangen, Leguane und Papageien und Tiere in Obhut, die aus schlechter Haltung kommen, unterernährt sind und/oder misshandelt wurden.
Tierleid klar benannt
Tierquälerei und Wilderei wie in dem Fall der flugunfähigen Ente, deren Gefieder beschnitten wurde, sind dabei noch die eher harmlosen Vergehen. „Da gibt es ganz ekelhafte Fälle“, sagt Diana Erdmann, „da denkt man, man hat schon alles gesehen, und kommt dann zu einer Sicherstellung, die alles vorherige übertrifft.“ Wie bei dem Herren, bei dem die Mitarbeiter der Wildtierhilfe Lüneburger Heide regelmäßig vor der Tür standen, da er trotz mehrfach angeordneter Tierhalteverbote diese immer wieder ignorierte. „Er hat Geflügel im ganzen Haus gehalten, Hühner, Enten, Kanarienvögel, alles querbeet. Alle sechs Wochen waren wir dort zur Räumung“, so die Tierliebhaberin, „einmal dachten wir, wir hätten alle Tiere aus der völlig verwahrlosten Wohnung geholt, da hörte ich es beim letzten Rundgang fiepen – und fand Entenküken in eine Sockenkiste gestopft.“ Belastend war auch die Beschlagnahmung eines Transporters, der mit Stinktieren, Wasserschweinen, Kranichen, Schwänen und Schnee-Eulen auf dem Weg von Holland nach Tschechien war, augenscheinlich, eine Bestellung für einen Privatzoo. Erlebnisse, die Erdmann manchmal fassungslos zurücklassen. „Da gibt es richtig bösartige Menschen, aber auch jene, deren Leben außer Kontrolle geraten ist.“
Auch den Exoten ein Zuhause schaffen
Weniger dramatisch geht es meist bei den Übereignungen von Exoten wie Papageien zu. 40 von ihnen leben auf dem Emhof. Sie haben die gleiche Lebenserwartung wie Menschen und kommen meist, weil die Besitzer verstorben sind. „In den 60er-/70er-Jahren war es hier noch ganz normal, so ein Tier einzuführen und im Käfig zu halten“, erläutert die Expertin. Heute stünden dem strenge Artenschutzbestimmungen entgegen, leider aber auch der Weitervermittlung, warum die Vögel meist ihren Lebensabend in den Volieren der Wildtierhilfe fristen. „Besonders artgeschützte Tiere dürfen wir nur an Zoos und zoologische Einrichtungen abgeben“, so Erdmann, „was selten möglich ist.“ Ein Jammer, leben hier doch äußerst aufgeweckte und kontaktfreudige Exemplare wie Luise. „Die hat richtig Bock drauf, was zu lernen“, weiß Erdmann. Doch zum Glück für Luise arbeitet die Auffangstation mit einem Filmtiertrainer zusammen, der die sprachliche Begabung des Vogels erkannt hat. „Wenn in einem deutschen Fernsehfilm ein Papagei auftritt, ist es meist Luise“, sagt Diana Erdmann nicht ohne Stolz.

Nicht immer geht es so gut aus. Die vermutlich von einem Zug erfasste Waldohreule mit dem offenen Bruch musste das Team erlösen. Den Weg wählt es immer dann, wenn es für das Tier keine Chance auf ein artgerechtes Leben mehr gibt. Mitarbeiter Dorian Engelhardt erklärt: „Die Eule ist so scheu, dass ein Leben in Gefangenschaft in den Volieren für sie der blanke Horror wäre.“
Und dann gibt es da noch „Problemfälle“ wie Ben. Der etwa dreijährige Münsterländerrüde stammt aus einer Sicherstellung. Sein Halter hat ihm keine Grenzen aufgezeigt. Der Hund pöbelte im Ort die Dorfbewohner an, schnappte nach ihnen. Passiert ist nie etwas. Aber sein Herrchen muss fortan auf ihn verzichten. Bens Haken: Durch seine Vorgeschichte misstraut er fremden Menschen erstmal kurz. Auch uns bepöbelt er, als wir in die Station eintreten. Doch schon beim Fototermin ist die Skepsis Geschichte. Brav und fröhlich wedelnd posiert Ben für die Kamera. „Er ist eine Seele von Hund, wenn er mit einem vertraut ist, aber fürchterlich unsicher, weil er schlecht bis gar nicht erzogen worden ist“, beschreibt Diana Erdmann seinen Charakter. Ben braucht sportliche und agile neue Halter, die ruhig und sicher im Umgang mit Hunden sind. Ein souveräner Zweithund wäre prima. Für eine Familie mit Kindern wäre Ben nicht wirklich geeignet. Na, liebe Leserinnen und Leser – Interesse an einem Neuanfang?
Ohne Spenden geht es nicht
Die Wildtierhilfe Lüneburger Heide kämpft wie viele Organisationen aufgrund der steigenden Lebenshaltungskosten mit ihrer Finanzierung. Die Unterstützung vom Land Niedersachsen sei überschaubar, Spenden brächen weg. Viele Anrufer wollen ihre Reptilien abgeben, weil sie sich die Energie für die Terrarien nicht mehr leisten können. „Gott sei Dank hat das Land in seinem Rettungsschirm Mitte November auch eine Million Euro für Tierheime bereit-gestellt. Wir hoffen, es kommt davon etwas bei uns an“, sagt Stationsleiterin Diana Erdmann. Spenden sind dennoch mehr als willkommen. „Ohne Spenden wäre unsere Arbeit nicht möglich.“ Das Konto: Kontoinhaber: Wildtierhilfe Lüneburger Heide e. V.,
IBAN: DE39 2512 0510 0009 4681 00,
BIC: BFSWDE33HAN.